08. 06. 2024

Buenos Aires (AT)Amador Sánchez Rico ist seit mehr als 20 Jahren in der Welt unterwegs. Mit dabei: seine Frau Sonia und die zwei Söhne des Ehepaares. Von Madrid ging es nach Brüssel, New York und Mexiko-Stadt. Seit 2021 lebt die Familie in Buenos Aires wo Sánchez Rico als Botschafter die Europäische Union (EU) vertritt. Im Interview mit dem Argentinischen Tageblatt und ein Jahr bevor es wieder ans Kofferpacken geht, ist von Müdigkeit ob des über zwei Jahrzehnte andauernden Nomadenlebens nichts spüren. Im Gegenteil, leidenschaftlich vertritt der geborene Spanier die Idee, die ihn seit seinen Anfängen umtreibt; um so mehr in Zeiten wie diesen: Die unwiderrufliche Notwendigkeit der multilateralen Zusammenarbeit. Auch in den eigenen vier Wänden: „Zu Hause sprechen meine Kinder Englisch; sie streiten sich auf Französisch, bis ich sie zur Räson bringe – auf Spanisch“, gestand Sánchez Rico jüngst einem Interview.

Kurz vor den Wahlen zum neuen Europäischen Parlament, die nicht nur eine neue Europäische Kommission sondern auch die bis vor kurzem noch undenkbare Idee einer gemeinsamen europäischen Verteidigung verwirklichen könnte, empfängt Sánchez Rico das Argentinische Tageblatt in seinem Büro, im Zentrum von Buenos Aires. Mehr als 20 Stcokwerke über den Rio de la Plata, bekennt sich Sánchez Rico als Optimist, will aber auch nicht verhehlen, dass die EU -wieder, doch dieses Mal gemeinsam mit der internationale Gemeinschaft vor einem Scheideweg steht. Argentinien kann davon profitieren, versichert er, wenn es die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas schafft, seine Hausaufgaben zu machen.

Heute beginnen die Europawahlen. Der Vormarsch von rechten Parteien macht Angst. Emmanuel Macron definierte den Wahlgang bei seinem jüngsten Staatsbesuch in Deutschland als “historisch und entscheidend”. Wie konnte es dazu kommen?
Es gibt noch viel zu tun, um die Institutionen der Europäischen Union den Bürgerinnen und Bürgern näher zu bringen. Um so mehr, als immer mehr Dinge in Brüssel entschieden werden. Viele Menschen wissen aber einfach nicht genau, wofür sie stimmen und was das für Konsequenzen haben kann. Es gibt eben noch Handlungsbedarf. Sicher ist, dass mit diesen Wahlen ein neues Parlament bestimmt wird, eine neue Kommission, eine neue Präsidentschaft, deren Verantwortliche vielleicht wieder Ursula von der Leyen heißen kann, die aber in jedem Fall eine neue politischen Richtung für die kommenden fünf Jahre einläuten dürfte.

Amador Sánchez Rico, sentado izquierda fondo Puerto Madero
Amador Sánchez Rico

Sicher ist auch, dass die Europäische Union angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine ihre Marschrichtung so klar definieren mub wie vielleicht nie zuvor in ihrer Geschichte. Dafür hat sie nicht viel Zeit, wie es uns die Pandemie und jetzt der Krieg gelehrt haben. Ihr bleibt nicht viel Zeit für eine Kursbestimmung im gewohnten Stil? Fünf Jahre reichen da nicht.
Richtig ist, dass die Pandemie und der Krieg einen Prozess beschleunigt haben, der schon 2019 startete, als Ursula von der Leyen Präsidentin wurde. Um es anders zu sagen: Mit der Pandemie wurde uns klar, dass wir keine einzige Maske in Europa herstellen; dass wir kein einziges mechanisches Beatmungsgerät in Europa herstellen; dass wir kein einziges Gramm Paracetamol in Europa herstellen oder produzieren; dass wir unsere Lieferketten überdenken müssen. Danach kam der Krieg, der uns unsere 80% Abhängigkeit vom russischem Gas mehr als nur vor Augen fürhte. In den Vereinigten Staaten könnte jetzt ein Präsident an die Macht kommen, der bereits deutlich gemacht hat, dass er uns in Sachen Sicherheit nicht helfen wird. Mit anderen Worten: Wir müssen uns um unsere Verteidigung kümmern. All dies sind jedoch die Prioritäten einer geopolitischen EU, die mit strategischer Souveränität und Autonomie seit 2019 daran arbeite. Das bedeutete schon damals, nicht mehr so abhängig von China, den Vereinigten Staaten und Russland zu sein. Die große Aufgabe, die in den nächsten fünf Jahren vor uns liegt, jenseits von Geopolitik, ist deshalb auch die gemeinsame Verteidigung. Und daran geht kein Weg vorbei.

Der Weg der Europäischen Union wird oft als einer vorwärts, zwei zurück definiert. Mit anderen Worten: Die Europäische Union braucht Krisen, um sich vorwärts zu bewegen, einen Moment des Bruchs, um sich weiterzuentwickeln. So war es bei Schengen, mit Maastricht, dem Euro. Jetzt bedroht ein Krieg das Herz Europas. Wie können wir uns eine gemeinsame europäische Armee vorstellen, wenn sich Paris und Berlin nicht einmal darüber abstimmen können, wie es in der Ukraine weitergehen soll?
Ich weiß nicht, ob es zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück oder zwei Schritte vorwärts und einen Schritt zurück ist (lächelt). Aber ich stimme zu, dass die Europäische Union aus Krisen hervorging. Nach den Fortschritten bei Grenzsouveränität und Währung ist der dritte nun die Verteidigung. Doch es fällt mir schwer, von einer europäischen Armee zu sprechen, denn der Frieden liegt in der DNA der Europäischen Union. Es stimmt aber auch, dass wir heute erstamls wieder über Aufrüstung sprechen, über eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben von 0,5 % auf 2 %, über Waffenlieferungen an die Ukraine.

Die Richtung ist jedoch unnicht wirklich klar: Der französische Präsident spricht davon, europäische Truppen in die Ukraine zu schicken, während der deutsche Bundeskanzler nach Washington – und nicht nach Brüssel – schaut, um zu sehen, wann er der Ukraine erlaubt, die gelieferten Waffen zum Angriff auf russische Ziele einzusetzen. Wie kann die EU in einem solchen Szenario jemals eine klare Verteidigungspolitik gestalten, geschweige denn einem Kommissar der Verteidigung ein klares Mandat geben?
Klar ist, dass wir eine stärkere Integration unserer Verteidigungssysteme unter den 27 Mitgliedsländern brauchen. Ein Verteidigungskommissar kann eine Alternative sein, aber noch wichtiger ist es, eine ehrgeizige Agenda in diesem Bereich zu haben, um, wie ich schon sagte, weitere Integration, Interoperabilität, Größenvorteile und eine echte europäische Rüstungsindustrie zu schaffen.

Wie real ist das Gespenst eines Krieges im Herzen Europas einzuschätzen?
Das sollten Sie Präsident Putin fragen. Wir befinden uns nicht im Krieg mit Russland. Da darf es keinen Zweifel geben: Unsere Sanktionen richten sich weder gegen das russische Volk, noch wollen wir in irgendeiner Weise einem Krieg das Wort reden. Doch können wir es auch nicht zulassen, dass Putin mit seinem Willen unter falschen Vorwänden durchkommt, also mit seinen imperialen Allüren, deren Grundlage ein revisionistisches, revanchistisches Geschichtsverständnis ist. Das wäre ein eklatanter Verstoß gegen internationales Recht und gegen die Regeln der internationalen Gemeinschaft. Wir wollen, dass die Ukraine über ihr eigenes Schicksal entscheidet und nicht Putin über das Schicksal der Ukrainer. Wenn die Ukrainerinnen und Ukrainer in der Europäischen Union sein wollen, liegt es an ihnen. Sie müssen entscheiden, wo sie sein wollen.

In dieser Neuordnung, bekommen auch die Handelspartner der EU eine neue Bedeutung. Und doch belibt der Mercosur-EU-Abkommen nach wie vor ein Luftschloss. Die Konkurrenz schläft dabei nicht: So weitet China seinen Einfluss in Lateinamerika kontinuierlich weiter aus. Auch die EFTA, die Wirtschaftsgemeinschaft der Schweiz, Island, Liechtenstein und Norwegen, ist einem Abschluss mit dem Mercosur näher als die EU. Deshalb: Welche reelle Chancen sehen Sie, dass die EU und der Mercosur dieses Jahr ein Abkommen unterzeichnen können?
Die gute Nachricht ist, dass schon mehrmals ganz nah dran waren. Leider kamen dann immer wieder Interna dazwischen; auf beiden Seiten. Die Europäische Union konzentrierte sich auf die Expansion in den Osten. Hier gab es “Nachbarschaftsprobleme”. Auch waren wir vielleicht zu sehr auf Venezuela, Kuba und Nicaragua fixiert, anstatt darauf zu überlegen, was uns eint und nicht so sehr, was uns trennt. Im Lauf der Jahre kam es immer weider zu einer Entfremdung. Doch wie gesagt, auf beiden Seiten. Die Folge? Dass andere das Vakuum füllten. China, zum Beispiel, wie Sie richtig bemerkten. Heute aber befinden in einer geopolitischen Phase, in dem wir uns gegenseitig brauchen, mehr denn je. Ich bin kein Hellseher und kann nur sagen, wenn wir es in den kommenden Monaten nicht schaffen sollten, dieses Abkommen voranzubringen, wäre das mehr als nur frustrierend. Es wäre ein Abkommen, dass 800 Millionen Einwohnern umfaßt, sehr komplementären Volkswirtschaften zusaemmführen könnte, die sich sehr gut ergänzen und von dem wir in jeglicher Hinsicht profitieren würden.

Nochmal konkret: Sehen Sie eine Möglichkeit, dass ein Abkommen zwischen dem Mercosur und der EU bis Ende des Jahres erreicht werden kann, insbesondere vor der Tatsache, dass sich nach den Wahlen erst noch eine neue Kommission zusammenfinden muß?
Ich bin ein geborener Optimist und werde dafür bezahlt, ein Optimist zu sein. Ich deshalb davon aus. Wir müssen einfach in der Lage sein können, das Gesamtbild zu betrachten und den Ehrgeiz zu haben es zu schaffen. Wir sollten die Kosten eines „No Deal“ über den Kosten eines Deals stellen.

Währenddessen druchlebt Argentinien -auch wieder einmal- derzeit sein eigene Transformation. Es gibt eine neue Regierung, die die Öffnung der Wirtschaft und die Anbindung an den westlichen Block fördert. Doch die Kosten sind hoch. Aus Sicht der Europäischen Union, wo ist Argentinien auf dem richtigen Weg und wo muß es noch mehr tun, um sich in die globale Wertschöpfungskette eingliedern zu können?
Wir sind sehr hoffnungsvoll: der Beitritts-Prozess Argentiniens zur OECD, das Bekenntnis der neuen Regierung zum EU-Mercosur-Abkommen, die Initiativen zur Deregulierung des Marktes, die stetige Öffnung des Außenhandels sowie die Erleichterung für Investitionsprojekte. Das sind alles sehr positive und sehr willkomene Signale, die für europäische Investitionen und Investoren erwartungsvolle stimme. So haben wir heute über 800 europäische Unternehmen, die ein konkretes und grosses Interesse and Argentinien haben. Jetzt müssen wir sehen, wie sich das alles in konkreten Schritten niederschlägt. Denn die Fakten zählen, nicht die Worte.

Amador Sánchez Rico
Amador Sánchez Rico

Wo steht Argentinien heute auf dem Schirm der EU?
Es nimmt eine führende Position in Brüssel und in Europa ein. Argentinien gilt als ein wichtiger Partner in der Region. Doch das hat auch viel mit dem Gestern zu tun, sc¡hließlich haben wir haben eine sehr, sehr lange und reiche Vergangenheit. Doch gerade heute müssen wir viel ehrgeiziger sein. Wie wir inziwschen sicher alle wissen verfügt Argentinien über alle natürlichen Ressourcen, die wir in Europa für unseren grünen und digitalen Wandel gut brauchen können. Das ist das Lithium, der grünem Wasserstoff, der in diesem Land einzigartige Eigenschaften hat, und natürlich Vaca Muerta. Ich würde mir wünschen, dass das Erdgas aus Vaca Muerta bald nach Europa gelangt, ebenso wie das Lithium und der Wasserstoff. Aber es stimmt auch wie gesagt, dass Argentinien in Sachen Investitionsschutz und Deregulierung noch Hausaufgaben zu machen hat. Und deshalb hoffe ich auch sehr, dass Initiviatven wie die Ley Base, aber auch das neue Investitionsfördergesets RIGI; das Bergbaugesetz und auch das Gesetz über grünen Wasserstoff hoffentlich bald das Licht der Welt erblicken können. All das gibt den europäischen Investitionen Sicherheit.

Die EU und Argentinien haben im Rahmen der EU-Initiative des “Global Gateway” im letzten Jahr Absichtserklärungen zu Gas, grünem Wasserstoff und Lithium unterzeichnet. Wie hoch ist Argentiniens an dem Investment-Paket?
Unter dem Global Gateway gibt es keine länderspezifisches Zuteilung. Das Global Gateway ist eine ehrgeizige Agenda für Investitionen der EU in der Welt. Sie gibt die die Art und Weise vor, wie die EU ihre Investitionen tätigt, nämlich im Hinblick auf Nachhaltigkeit in wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Hinsicht. Es ist wie ein Fahrplan, der die Zusammenarbeit der EU-Ländern und ihren Finanzinstitutionen, wie z. B. der Europäischen Investitionsbank regelt. Aber es besteht kein Zweifel, dass das Global Gateway mit den von Ihnen erwähnten Memoranden auch Auswirkungen auf Argentinien haben wird, etwa bei Energie (Gas und Wasserstoff) und beit kritische Mineralien, wie etwa das Lithium.

Wo sind diese Auswirkungen heute konkret zu sehen?
Wir sind mitten in der Umsetzung: wir bringen derzeit ständig europäische Unternehmen mit argentinischen Unternehmen zusammen, auch im Rahmen von neuen joint ventures. In kommenden Monat erwarten wir den Besuch des Energiekommissar. Laufend kommt es zum Austausch zwischen europäischen und argentinischen Regierungsvertretern, aber auch mit europäischen Unternehmern, die Regionen wie etwas Salta, Jujuy und Catamarca besuchen. Ausserdem bereiten wir eine Handelsdelegation mit argentinischen Unternehmern vor, die im Dezember nach Brüssel reisen werden. Denn, im Rahmen des Global Gateway, wollen wir dann dort ein grosses Argentinien-Meeting veranstalten. Es ist also sehr viel los.

Herr Botschafter, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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