Ein Jahrzehnt ist eine lange Zeit für den Menschen. In Argentinien, um so länger. Nicht aber für den argentinischen Wein, der in den letzten zehn Jahren seine eigene Wandlung durchleben konnte und sich neu erfunden hat. Dank dem Malbec aber auch dank der Resilienz des argentinischen vino, der sich neu zu erfinden wußte.
In den Jahren zwischen 2002 und 2012 konnte der Sektor längst überfällige strukturelle Veränderungen in seiner Wertschöpfungskette durchführen. Alle voran bei Winzern, Kellereien sowie im Einzelhandel. Das Resultat: ein sich selbst nährender Exportboom. Damit war jedoch 2012 Schluß: der sich stetig verschlechternde Wechselkurs untergrub die Stärke des Sektors und verwässerte den Erfolg.
Produzenten, die bis zu dem Zeitpunkt jährliche neue und größere Erfolge auf den international Märkten -insbesondere in Europa und auch in der DACH-Region- feiern konnten, mußten das Auslandsgeschäft wegen der ansteigende Kostenspirale immer stärker einschränken. Am Ende blieb der Exportmarkt nur den Stärksten Bodegas vorbehalten. Mittlere und kleinere Produkteure setzten dafür auf den argentinischen Binnenmarkt, wie Joaquín Hidalgo im Portal Más Produktion berichtet.
Wem die Inflation hilft
Die Marken, die sich vormals allein auf den Segnungen eines günstigen Wechselkurses -teurer Dollar und Euro beim Absatz vs. billigen Peso in der Produktion- mussten sich plötzlich einen Platz auf dem heimischen Markt erkämpfen. Doch die älteste aller argentinischen Wirtschaftskrankheiten kamen ihnen zu Hilfe: eine ansteigende Inflation. Die Kombination aus Preisverfall, dem Aufkommen neuer Absatzkanäle, einer Flut neuer Marken und dem Internet taten ihr Übriges. Der Binnenmarkt kam in Bewegung.
Die Vinothek ist ein gutes Beispiel. Neue Marktteilnehmer wie chinesische Tante Emma-Läden und Supermärkte drängten in den Sektor und brachten den traditionellste unter den Imagekanälen des Weines unter Druck. Die kleineren lockten mittels aggressiver Preis-Angebote eine immer größere Weinkundschaft an. Die Retailer taten ihr Übriges und lancierten Sonderangebot-Kampagnen mit Produkten der besten Weinfirmen. Das Überangebot schuf zusätzliche Verkaufskanäle. Der Binnenmarkt versank in einer “Weinschwemme”.
Der Online-Kanal sorgte für eine „Sensibilisierung“ der Nachfrageseite. Die Konsumenten, gewöhnten sich an den Genuß hochqualitativer Trauben zu erschwinglichen Preisen in der Spanne um die 15 Euro. Eine besondere Rolle spielte dabei Mercado-Libre, heute der größte e-Commerce-Plattform Lateinamerikas. Das vom argentinischen entrepreneur Marcos Galperín gegründete Unternehmen
ermöglichte es einer anwachsenden Zahl von B-Listen-Verkäufern, fast jeden Wein zu fast jedem Preis anzubieten. Im Jahre 2013, konnte es zu eine Preisdifferenz von mehr als 40% kommen zwischen dem Wein-Angebot auf Mercado-Libre und dem, was in den Regalen der Vinotheken stand.
Die Skalierungseffekte brachten die großen Weingüter dazu, ihre Produktion zunehmend auf Mercado-Libre anzubieten. Der Direktvertrieb entpuppte sich zudem für kleinere Anbieter als ein attraktives Geschäft. Die Pandemie vor wenigen Jahren belegte wie Recht sie damit hatten.
Heute, gibt es player wie Bodegas Bianchi, die alle ihre Spitzenweine im Direktvertrieb über das Internet vertreibt, oder Chakana, die ihren online-shop zum Hauptabsatzkanal gemacht hat. Ein halbes Hundert argentinische Weingüter haben heute ihre eigene Website.
Als Folge dieser Entwicklung fand im vergangenen August die erste CyberWine in Argentinien statt. An ihr nahmen 40 Weingüter teil. Eine kuriose Tatsache, um den Zeitpunkt zu markieren: Der erste Cyber Monday in Argentinien war 2012, also vor etwas mehr als zehn Jahren.
Winery: ein Geschäftsmodell verabschiedet sich
Der Konkurs der bis 2018 größten Vinothek „Winery“, die seit 2020 rechtskräftig ist, dürfte den Wende-Punkt eines Geschäftsmodells darstellen, das sich vor unseren Augen auflöst. Winery hatte während ihrer Hochphase rund 22 Geschäfte. Die dafür benötigten Lagerbestände stellten die Weingüter zu einem vorher vereinbarten Verkaufspreis mit maximale Laufzeit von bis 180 Tagen in Rechnung. Nach 2013 war der Druck des Marktes stärker.
Was geblieben ist sind Weinhandlungen, die sich jenseits der Online-Konkurrenz als Kuriositätenläden spezialisiert haben. Beispiele sind etwa Soil, Lo de Armesto, Pain Et Vin oder Sommelier en Bicicleta. In geringerem Maße auch Bodega Amparo oder Frappé, die heute ein wenig die Mystik der guten alten Vinothek in Argentinien am Leben halten können. Es gilt die alte Regel: passe Dich an oder löse Dich auf.
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