10. 12. 2024

Buenos Aires (AT) – Viel wird in diesen Tagen in Argentinien über Javier Milei berichtet. Der Grund: Es jährt sich der Tag, an dem der heute 54-jährige Ökonom nach seinem überraschenden Wahlsieg im November 2023 den Amtseid als argentinischer Staatspräsident ablegte. Seine erste Amtshandlung an diesem 10. Dezember 2023 war es, noch auf den Stufen des Parlaments, Anhängern und Gegnern ein Versprechen zu geben: Mühe, Schweiß und Tränen. Im Gegensatz zu seinem Duzfreund Donald Trump versprach er keine „blühenden Landschaften“. Eher einem Winston Churchill gleich zeichnete er einen Weg, auf dem es zunächst galt, einen Preis zu zahlen. Das Ziel: eine kompromisslose Neuordnung des argentinischen Staates, mit einem Schwerpunkt auf der Wirtschaft. Was folgte war eine Rosskur auf die viele Argentinier heute nur schmerzlich zurückblicken dürften.

In den letzten zwölf Monaten stiegen die Armut und auch die Arbeitslosigkeit sowie die Anzahl der Konkurse. Lebten Ende 2023 rund 45 % der argentinischen Bevölkerung entlang oder unterhalb der Armutsgrenze, waren es Mitte 2024 bis zu 54 %. Allerdings zeigen Prognosen Ende 2024 wieder einen Rückgang auf 44 %. Ähnlich, wenn auch weniger dramatisch, das Bild auf dem Arbeitsmarkt: Im Dezember 2023 waren 7,35 % der arbeitenden Bevölkerung ohne Beschäftigung; im Oktober 2024 waren es rund 7,6 %, so Angaben des Statistikamtes Indec. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte um rund 4 % sinken, erwarten Experten. Und trotzdem: Ein Jahr nach seinem Amtsantritt kann Milei Akzeptanzwerte vorweisen, die im Vergleich zu seinen Vorgängern rekordverdächtig sind. In den jüngsten Umfragen geben im Durchschnitt – je nach Erhebung – über 44 % der Befragten an, mit der Arbeit Mileis und seines Teams „zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ zu sein.

Giacobe, November 2024
Die Entwicklung der Figur des Javier Milei bis Ende November 2024. Hier beispielihaft in der Analyse des argentinischen Beratungsunternehmens Giacobe Consultores. (Grafik: Giacobe Consultores)

Ein Grund dafür ist der Rückgang der Inflation. Wie das Argentinische Tageblatt im Laufe des Jahres berichtete, hat es das Team um Milei – allen voran Wirtschaftsminister Luis Caputo und seit Juli auch Federico Sturzenegger, der mit der Deregulierung des gesamten „Geschäftsmodells“ Argentiniens beauftragt ist – geschafft, die monatliche Preissteigerungsrate unter 2 % zu drücken. Hinzu kommt die bisher nachhaltige Sanierung der Staatsfinanzen. Für den zwölften Monat Mileis sagen die Prognosen zum elften Mal in Folge einen Haushaltsüberschuss voraus.

The Economist
The Economist, November / Dezember 2024.

Im Ausland stößt Milei ein Jahr nach seinem Amtsantritt auf Wohlwollen und Widerstand gleichermaßen. Immerhin ist es keine geringe Leistung, im gleichen Jahr die Titelseiten von The Economist und Time Magazine geziert zu haben. In Deutschland zitiert ihn inzwischen Christian Lindner genauso, wie sich Friedrich Merz an ihm reibt. In den USA lobt ihn Donald Trump, während in Spanien allein sein Name bei Pedro Sánchez wohl die Nackenhaare hochstellen dürfte. Javier Milei „polarisiert“.

Time Magazine, Milei
Time Magazine, Mai 2024.

Für sein zweites Amtsjahr wird entscheidend sein, ob Milei seine politische Basis ebenso erfolgreich neu strukturieren kann, wie er den Kampf gegen Inflation und Währungsschwäche vorangetrieben hat. Im September 2025 stehen die ersten Midterm-Elections seiner Amtszeit bevor. Politische Beobachter gehen davon aus, dass er seine bisher immer noch schwache Position in beiden Kammern ausbauen kann. Voraussetzung: Milei und sein Team können bis dahin ein weiteres Wahlversprechen einlösen – die Aufhebung der Devisenkontrollen rund um den US-Dollar. Wenn er zudem klare Fortschritte bei der Umsetzung seines Investitionsförderprogramms RIGI nachweisen kann, das die ersehnten Großinvestitionen anziehen soll, könnte er im Dezember 2025 erneut Grund zum Feiern haben – vor allem aber die argentinische Bevölkerung.

Seine größte Herausforderung auf diesem Weg ist Milei dabei selbst: Sein Umfeld sieht ihn nach einem Jahr immer häufiger als einen „Auserwählten“; er selbst bettet seine Entscheidungen und Zielvorgaben gerne in biblische Parabeln ein und hat sich bereits mehrfach eines zukünftigen Nobelpreises würdig befunden. Kurz: Die Hybris begleitet Milei. Die gute Nachricht: Der einstige Torwart-Halbprofi gab bereits bei seinem Amtsantritt seinen Beobachtern eine alte Regel mit auf den Weg: „Hört nicht auf das, was ich sage, sondern schaut auf das, was ich tue.“

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