23. 12. 2024

Buenos Aires (AT) – Ein Vierteljahrhundert entspricht zwar 25 Jahren, doch in Argentinien fühlt es sich oft nach mehr an – und bedeutet auch deutlich mehr. Inmitten von „historischen Staatsbankrotten“, rekordverdächtigen Inflationsraten und einem stetigen Strom neuer Regularien Fuß zu fassen, ist eine beachtliche Leistung für einen deutschen Mittelständler. Das spiegelte sich denn auch in nicht wenigen Gesichtern wider, die vor wenigen Wochen im Hotel Wyndham im Norden von Buenos Aires zusammenkamen. Anlass waren die 25 Jahre, die der Pumpen- und Maschinenbauer Netzsch Pumps & Systems am Río de la Plata heute zählt. Rund 80 Gäste – darunter Vertreter der Netzsch-Niederlassungen in Brasilien, Kolumbien, Peru und Mexiko – reisten an. Aus dem Stammhaus im bayerischen Selb kamen Andreas Denker, CEO für den Geschäftsbereich Pumpen & Systeme, sowie Paul Netzsch, Co-Geschäftsführer der Holding Erich Netzsch Gruppe B.V. & Co.

Netzsch gehört zusammen mit Bruder Moritz Netzsch zur Nachfolgegeneration des Familienunternehmens, das 1873 gegründet wurde und heute über 4.000 Mitarbeiter weltweit beschäftigt. Mit einem Jahresumsatz von EUR 856 Millionen (2023) gehört Netzsch zu den Hidden Champions der deutschen Wirtschaft. Gründer war das Geschwisterpaar Thomas und Christian Netzsch vor 151 Jahren. Resilienz und Bewegung scheinen sich seitdem durch das Unternehmen wie ein Leitmotiv zu ziehen: Vom heimischen Selb ging es 1931 ins böhmische Asch, um nach dem Zweiten Weltkrieg 1946 den Wiederaufbau erneut in Selb zu starten. 1969 kam der Sprung ins Ausland und dann gleich über den Teich: Netzsch gründete das erste Tochterunternehmen außerhalb Europas im amerikanischen Exton. 1973 folgte Pomerode in Brasilien.

Dieser Instinkt war auch das wichtigste Aktiva, das die Netzsch Group in den letzten zwei Jahrzehnten in der argentinischen Achterbahn die richtigen Entscheidungen treffen ließ, wie es Paul Netzsch am Rande der Feierlichkeiten dem Argentinischen Tageblatt exklusiv erklärte. „Als Familienunternehmen war es uns immer wichtig, immer nah an den Personen zu sein, sie zu begleiten. Auch wenn wir im fernen Deutschland sitzen. Unser Vater hat es uns vorgelebt: Er verbrachte zwei Jahre in Brasilien und besuchte währenddessen regelmäßig Argentinien. Über das Team, das unser lokales Geschäft führt, haben wir eine sehr enge und solide Beziehung zum Land und seinen Menschen aufbauen können“, erklärt der gelernte Ökonom. „Diese Nähe hat es uns ermöglicht, uns in all den Jahren immer wieder flexibel an die wechselnden Marktgegebenheiten anzupassen. Das ist deshalb auch eine der wichtigsten Empfehlungen, die ich jedem mitgeben kann, der jetzt an den argentinischen Markt denkt: Die Nähe zu den Menschen zu suchen und zu pflegen.“

Der Blick über den eigenen Tellerrand

Flexible Strukturen und die Offenheit für neue Wege sind laut Netzsch die zweite wesentliche Empfehlung für Unternehmen, die neu nach Argentinien kommen. „Es gilt, Strukturen aufzubauen, die es einem erlauben, sich immer wieder neu anpassen zu können, beweglich zu sein. Vor allem bei den Geschäftszielen und in den Erfolgserwartungen, die man sich selbst setzt.“

Für einen erfolgreichen Einstieg in Argentinien empfiehlt Netzsch, sich zunächst auf eine Nische zu konzentrieren. Das erlaubt, ein Gefühl für Regeln und Verhältnisse im Land zu bekommen.

Vierte Empfehlung: „Wertschöpfung ins Land zu bringen und hier zu schaffen. Das heißt, einen Standort aufzubauen – wenn möglich, in Nähe eines Knotenpunktes wie Buenos Aires – um die Abhängigkeit zu Importen zu reduzieren.“ Darüber hinaus eine alte Hausregel: Wenn in der Fremde, schließe dich zusammen, suche und pflege Netzwerke. „Wir haben sehr positive Erfahrungen über Kooperationen gemacht. Viele der lokalen Händler, mit denen wir gestartet sind, arbeiten bis heute mit uns zusammen. Es lässt sich gemeinsam eben immer besser erreichen als allein“, sagt der Geschäftsmann, der 2020 in die Unternehmensführung berufen wurde, auch aus eigener Erfahrung heraus. Nach dem Studium der Betriebswirtschaft an der Universität St. Gallen stieg Netzsch nicht gleich in das eigene Familienunternehmen ein, sondern suchte den Blick über den eigenen Tellerrand. Für die in Frankfurt ansässige Commerz Business Consulting war er als Berater unterwegs. Später heuerte er bei HAWE Hydraulik in Aschheim an. Für den in der Nähe von München ansässigen Mittelständler war er auch für das Schweden-Geschäft verantwortlich.

Ausblick 2025

In Argentinien stehen die Aussichten für das kommende Jahr gut, so Netzsch. Vielleicht, weil nach dem schwierigen Jahr 2024 das Gefühl überwiegt, die schwerste Phase der längst überfälligen Reform der argentinischen Wirtschaft überstanden zu haben. Allerdings will auch die Netzsch-Gruppe nach den Einschnitten, die die neue Regierung Milei erfolgreich umsetzen konnte, im Jahr 2025 vor allem eines sehen: Planungssicherheit.

Andreas Denker, Netzsch
Andreas Denker, CEO Pump & Systems. (Foto: Netzsch)

Dazu erklärte Andreas Denker im Klartext: „Für das kommende Jahr wünschen wir uns einfach ein wenig mehr Planungssicherheit, vor allem angesichts der unruhigen Zeiten weltweit. Ich weiß, das ist kein leichtes Thema in Argentinien und eine große Aufgabe. Aber es ist wichtig, wie wir die nächsten Monate und Quartale gestalten können. Wir haben in den letzten Jahren vor allem mit den Währungsturbulenzen kämpfen müssen. Das haben wir gut meistern können. Jetzt sind wir ein wenig beruhigter und hoffen, dass sich das weiter einpendeln kann. In jedem Fall ist es entscheidend für uns, dass wir verlässlicher mit diesen Währungskursen umgehen können“, erklärte Denker.

Paul Netzsch brachte das Erlebte auf den Punkt: „Wir sind hier dank der Resilienz und der Anpassungsfähigkeit unseres Teams. Deshalb haben wir nicht nur überlebt, sondern auch Kraft gewonnen, die kommenden Chancen zu nutzen. Die Kapazität des Teams, die Fähigkeit, sich zu erneuern und auch in schwierigen Zeiten immer wieder Lösungen zu finden, waren die Grundlage für den Erfolg von Netzsch in Argentinien. Ich möchte deshalb an dieser Stelle allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meinen ehrlichen Dank für ihre Leistung und Unterstützung aussprechen.“

Paul Netzsch, Andreas Denker
Paul Netzsch (l.) und Andreas Denker. (Foto: Netzsch)

In Zeiten, in denen sich die deutsche Wirtschaft mehr denn je gezwungen sieht, ihr Geschäftsmodell neu aufzustellen, kann die Erfahrung von Netzsch Pumpen und Systemen mehr als ein typischer Erfahrungsbericht sein.

Mitarbeit:
Carolina Iglesias

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