Buenos Aires (AT) – Der Wahlsieg des libertären und rechtskonservativ eingestuften Javier Milei bei den argentinischen Wahlen am 19. November unterstreicht einen Umschwung nach Jahren des Links-Populismus der Kirchner-Jahre. Es handelt sich nicht nur um einen Wechsel in der Verwaltung, sondern auch um eine Neuausrichtung des Staatsverständnisses. Ein Beispiel ist die Reduzierung von Ministerien – von 18 auf acht -, ein anderes, die Privatisierung von Staats-Unternehmen, wie dem OIl&Gas- und Energieversorger YPF aber auch staatlicher Medienanstalten.
Die Reformen im öffentlichen Sektor des Landes richteten die Augen auch auf das Ausmaß und die Reichweite des argentinischen Beamten-Apparates. Nicht nur Milei hatte im Wahlkampf in den letzten zwei Jahren die Anzahl der Beschäftigten auf Staats-, Provinz und Komunalebene kritisiert. Auch die Opposition und selbst Regierungs-Anhänger haben über Jahre hinweg die Korruption und den Nepotismus im öffentlichen Sektor angeprangert.
„Wir sprechen hier von Hunderttausenden unnötigen Arbeitsplätzen“, sagte Franco Fugazza, argentinischer Ökonom, gegenüber der Deutsche Welle. „Zwischen 2003 und 2015 wurden 1,4 Millionen öffentliche Arbeitsplätze geschaffen, aber die Funktionen der verschiedenen Ebenen des Staates haben weder zugenommen noch ihre Dienstleistungen verbessert“, betont er. Wie das Zentrum für die Umsetzung öffentlicher Richtlinien für Gerechtigkeit und Wachstum (Cippec) hervorhebt, arbeiten 80% der argentinischen Angestellten im öffentlichen Dienst auf Provinz- und Gemeindeebene und kaum ein Drittel auf nationaler Ebene, was auf eine langen Prozess der Dezentralisierung des Landes zurückzuführen ist.
Derzeit zählt Argentiniens öffentlicher Sektor ca. 3 Millionen Angestellte, wie die neuesten Daten vom Ministerium für Arbeit und soziale Sicherheit (August 2023) belegen. Davon entsprechen etwa 700.000 der Bundesebene und 2.700.000 der Provinz- und Gemeindeebene.
Für Alejandro Miguel Estévez, Direktor des Zentrums für Studien des Staates und öffentlicher Organisationen (Cedop), „bedeutet die Tatsache, dass die Zahl der Ministerien verringert wird, nicht, dass die Zahl der Arbeiter zurückgeht.“ Gegenüber der DW erklärte er: „Das ist auch keine sehr große Kürzung der öffentlichen Ausgaben, sondern eher etwas Symbolisches.“
Nach Ansicht von Fugazza geht es nicht so sehr um die Anzahl der Ministerien, sondern um die Anzahl der Mitarbeiter im Einzelnen. Für den Ökonomen hat „die Abschaffung von Ministerien ohne eine gleichzeitige Reduzierung der Anzahl an unpolitischen Staatsbediensteten kaum Auswirkungen auf die Haushaltsbilanz.“
Die Stiftung für Wirtschaftsforschung in Lateinamerika (FIEL) bestätigt, dass die Anzahl der staatlichen Arbeitsplätze in den ersten drei Regierungszeiten unter den ersten drei Kirchner-Regierungen (Néstor Kirchner 2003-2007; Cristina Fernándes de Kirchner 2007 – 2015) um 65% gestiegen ist. Laut dem Online-Medium Chequeado ist die Beschäftigungszahl in der öffentlichen Verwaltung auf nationaler Ebene zwischen 2015 und 2019 gesunken, während die Stellen in Provinzen und Gemeinden gestiegen sind.
Die Kritik an Argentiniens öffentlichen Sektor reibt sich sowohl auf nationaler Ebene als auch in Provinzen und Gemeinden an den sogenannten „Ñoquis“, also Angestellten im öffentlichen Dienst, die ihr Gehalt kassieren aber nicht arbeiten. „Es ist nicht bekannt, wie viele es sind, aber die Anzeichen weisen darauf hin, dass diese Situation extrem weit verbreitet ist“, sagt Fugazza. Miguel Estévez vom Cedop ist anderer Meinung: „Es mag einige Beamte geben, die nicht wie die anderen normal zur Arbeit gehen, aber das ist bei der Mehrheit nicht der Fall“.
Javier Milei erklärte, dass „alles, was in die Hände des privaten Sektors gelangen kann, auch in den Händen des privaten Sektors gelegt werden wird.“ Nach Ansicht vieler Experten ist der claim keine Neuigkeit und verwesien auf die Privatisierungswelle der 90er Jahre in Argentinien. Wahr ist aber auch, das „eine (Halb-)Privatisierung der öffentlichen Medien und der staatlichen Fluggesellschaft (Aerolíneas Argentinas) die öffentlichen Ausgaben und das damit verbundene Defizit deutlich verringern würde“, sagt Fugazza. Beim Energieriesen YPF wagt er aber am Erfolg eines ähnlichen Modells zu zweifeln.
Die Experten sind sich einig, das der Abbau des Staatsapparates Kreativität und Feingefühl von der neuen Regierung erfordern wird. Für einen Rundumschlag nach der Devise “one size fits all” ist kaum Raum. Zu viele Argentinier hängen an der Hand des Staates.
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