Buenos Aires (AT) – Die Preise explodieren, die Auslandsschulden sind enorm: Argentinien ist gefangen in den Folgen seiner seit Jahren verschleppten Wirtschaftskrise und den Wehen des von der neuen Regierung Milei auferlegten Reformplanes. Im ersten Monat des neuen Jahres lag die Inflation nach Informationen der Statistikbehörde Indec 142,7% im Jahresvergleich zu Januar 2023. Die große Frage ist, ab wann diese Werte einen Abwärtstrend aufweisen könnten. Die meisten Wirtschaftsexperten gehen heute davon aus, dass die Inflation zumindest bis nach dem Sommer nicht wesentlich zurückgehen wird.
Wirtschaftsinstitute erwarten für das erste Vierteljahr 2024 eine monatliche Inflationsrate von durchschnittlichen 20% vor. Damit würde der Index für das erste Quartal des neuen Jahres bei 80% liegen. Grund ist die Kombination verschiedener Faktoren, hauptsächlich aber der Mischung aus Inflationsträgheit, die sich von Dezember 2023 ins neue Jahr ziehen dürfte, sowie die gebündelte Wirkung von Peso-Abwertung und nachfolgender Preiskorrektur.
Was sagen die Experten
Die Meinungen und sogar die Prognosen sind nicht einheitlich. Elisabeth Bacigalupo, Wirtschaftswissenschaftlerin bei der Beratungsfirma Abeceb, sagt für die kommenden Monate das folgende Panorama voraus. Für Januar rechnet sie mit einer Inflation zwischen 25 und 26%, Februar (19%), März (15%) und zwischen 10 und 12% für April. “Bis Mai werden wir keine einstellige Zahl sehen”, sagt sie. Danach und bis Jahresende erwartet sie eine Inflation -“sofern die Entwicklung gut verläuft” – zwischen 6 und 7 % pro Monat.
Der ehemalige Wirtschaftsminister Domingo Cavallo ist ein wenig optimistischer. Bis April erwartet der sogennante “Vater der Convertibilität”, dass die Inflationsrate auf monatliche 8% zurückgehen könnte. “Wir durchleben in Argentinien eine prozyklische Anpassung. Dies ist mit einer Vertiefung der Rezession verbunden. Eine starke, aber kurze Rezession, die sich in der zweiten Jahreshälfte umkehrt, mit einem Rebound, der interessant sein könnte”, erklärt der zweimalige Wirtschaftsminister (1991-1996; 2001).
In jedem Fall ist ein Rennen gegen die Zeit, wie beide Experten hervorheben. Haupt-Ziel der Regierung ist es, das traditionelle und stetige Auseinanderdriften von argentinischem Peso (AR$) und US-Dollar (US$) zu vermeiden, um so den Preisdruck auszuhebeln. Wie erwaret, ist heute die Wechselkurs-Dynamuk die größte Herausforderung der jungen Regierungsmannschaft um Präsident Javier Milei.
Ein langer Prozess
Zur Erinnerung: Kurz nach dessen Amtsantritt stieg der offizielle Wechselkurs von 365 AR$ auf 800AR$ (+118%), was unter anderem zu einem starken Anstieg der Preise für Lebensmittel, Zölle und Benzin führte.
Experten erwarten, dass der Preisanstieg insbesondere im ersten Quartal sich bei den Produkten auswirken wird, die direkt an den Dollar-Wert gekoppelt sind. “Wir sind uns bewusst, dass das Inflationsproblem eine der großen Herausforderungen ist, die wir zu bewältigen haben, und wir wissen sehr wohl, wie wir die Inflation beenden können, aber es ist ein langer Prozess”, sagte Manuel Adorni, Pressesprecher der Regierung in der täglichen Pressekonferenz am Montag.
Hoffen auf den Winter und die Ernte
Alle Augen richten sich nun auf die laufende Erntesaison. Der argentinische Agrarsektor zeichnet traditionell für rund 10% des argentinischen Bruttoinlandsproduktes (BIP) verantwortlich. Das günstige Klima läßt für die laufende Erntesaison 23/24 auf Einnahmeerwartungen von bis US$ 35 Milliarden hoffen. Zum Vergleich: die Kampagne 22/23 schloß mit Einnahmen um US$ 23 Milliarden. Die Regierung setzt jetzt insbesondere darauf, die Inflationstendenz bis April dank dieser Ernte-Dollar zurückschrauben zu können.
In jedem Fall startet das neue Jahr mit einer Preisspirale. Für die nächsten Wochen werden insbesondere drastische Erhöhungen bei öffentlichen Dienstleistungen wie Transport und Gesundheit erwartet. Auslöser ist die angeküdingte Streichung zahlreicher Subventionspakete. Wie Wirtschaftsminister Luis Caputo ankündigte, ist die Abschaffung des staatlichen Zuschusses eine der wesentlichen Grundlagen für den Plan der neuen Regierung. Ab dem Januar werden die Preise bei Bus und Bahn um rund 50 % erhöht. Einem Bericht des Beratungsunternehmens Equilibra zufolge werden sowohl Nutzer mit hohem Einkommen (N1), als auch Nutzer mit niedrigem Einkommen (N2) im Durchschnitt rund 150 % mehr für ihre Dienste zahlen müssen. Bei Nutzern mit mittlerem Einkommen (N3) werden die Steigerungen rund 300 % betragen.
Sollte die Regierung ihre Rosskur auch gegen den zu erwartenden Druck des politischen establishments aber auch des mächtigen Gewerkschaftsapparates durchhalten können, stehen die Chancen gut, dass die drittgrößte Volkswirtschaft Lateinamerikas die erste große Hürde des Jahres überwinden kann. Entscheidend dafür wird sein, welches Geschick das Team um Javier Milei hat, um gleichzeitig die rund 41% der Bevölkerung “abzuholen”, die heute entlang der Armutsgrenze leben.
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