Buenos Aires (AT) – Die Berge haben es Andreas Melán seit seiner Jugend angetan. Deshalb genießt er auch sein zweites Jahr an der Spitze der Österreichischen Botschaft in Buenos Aires um so mehr. „Es ist ein Mythos, dass diese Berge den Alpen ähneln. Von Salta bis Tierra del Fuego sind sie immer anders, neu, pure Vielfalt“, bescheinigt der österreichische Botschafter im Gespräch mit dem Argentinischen Tageblatt kurz vor den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag, der heute, am 26. Oktober 2023 gefeiert wird. Karrierediplomat mit Stationen in Äthiopien, Griechenland, Spanien, Pakistan und Perú scheut Melán aber auch nicht vor einer klaren Sprache zurück wenn es um die Zukunft Argentiniens und Österreichs im globalen Wettbwerb geht. Ein Austausch über Wahlen, Partner, Innovation und Neuanfänge am Tag nach den Wahlen in Argentinien.
Wie haben Sie die erste Runde der Wahlen 2023 erlebt?
Das ist und war sehr spannend. Wir alle EU-Botschafter haben das ja sehr aufmerksam verfolgt und auch mit den Kandidaten und ihren Teams gesprochen. Ich würde uns als qualifizierte Beobachter definieren. Und jetzt, am Tag danach gab es auch bei unserem ersten Treffen eine Mischung aus Überraschung aber auch ein wenig „Ratlosigkeit“ zu spüren war.
Warum?
Was wir uns alle gefragt haben ist, wie es nach der letzten Runde, weiter gehen kann. Die Gründe für den Ausgang der Wahl, sind sicher vielfältig. Doch ich glaube, dass nach diesem „Halbfinale“ die Karten ganz neu gemischt werden. Es wird sicher viel in Bewegung geraten. Und wir als EU-Gruppe werden das sehr um so aufmerksamer verfolgen. Insbesondere in Bezug auf die Positionen der Kandidaten gegenüber Europa, der Währungs-und Finanzpolitik, der ewigen Verschuldung und natürlich bei den Investitionsbedingungen. Denn das betrifft uns alle.
Nicht nur Argentinien ist im Wandel. Auch Europa versucht sich immer noch in eine Welt hineinzuordnen in denen mit Russland einer der wichtigsten Akteure heute ein Paria ist und die Migrationsdruck immer stärker wird. Wie erlebt Österreich deshalb seinen 26. Oktober?
Ich sehe in Österreich und auch in Europa viel Unruhe und auch Fragezeichen darüber wie unsere Zukunft in Europa ausschauen kann. Seit 2008, hat eine Krise die nächste abgelöst. Heute stehen wir im Rahmen einer globalen Neuordnung, die neue Migrationsströme hervorruft und neben dem Ukraine-Krieg jetzt den verheerenden Krieg im Nahen Osten, den der Terroranschlag Hamás auf Israel auslöste. Die Anforderungen an unser demokratisches System sind so hoch wie noch nie. Die Menschen suchen Sicherheit, sei es in Argentinien oder in Österreich.
Welche konkreten Herausforderungen stehen Österreich bevor? In den letzten Jahren „Geschäftsmodell“ hat es viele der heute unabdingbaren Eigenschaften einbauen können: Nachhaltigkeit, soziale Verträglichkeit. Reicht das in dieser sich neu ordnenden Welt?
Wir haben das Glück, das wir im Zentrum Europas sind. Das wir verlässliche und stabile Nachbarschaften ausgearbeitet haben und dass wir Mitglieder der Europäischen Union sind. Diese Einbettung in der EU hilft uns auch bei den Herausforderungen wie Digitalisierung oder Energiewende zu beschleunigen. Bei der Migration sind wir dagegen leider am allerwenigsten vorangekommen.
Was kann Österreich seinen europäischen Partnern auf den Weg mitgeben auf dem seinem eigenen Weg der Transformation?
Ich glaube, dass wir sehr viel Technologie im Spannungsfeld von Energiewende und Klimawandel beitragen können, da wir sehr viel entwickelt haben und heute selbst nutzen.
Geben Sie uns ein Beispiel?
Das sogenannte Passiv-Haus. Dazu muss ein wenig ausholen und eine besondere Eigenheit Österreichs herausstreichen: 60 Prozent unseres Landes sind Berge. Hinzu kommt, das bis zu zwei Drittel unserer Fläche von Wald bedeckt ist. Und: bei der Besiedelung zeichnet sich Österreich durch Dörfer, kleinere und mittlere Städte aus. Und dank dem allen konnte hier das Konzept der smart cities bereits seit Jahren zum Tragen gekommen.
Inwiefern?
Ganz einfach, diese Städte konnten sehr viel leichter lernen was Energie-Autarkie heißt und diesen umsetzen. Viele von ihnen müssen nicht einmal mehr durch nationale Stromnetze Energie und Strom bedient werden. Sie produzieren die gesamte Energie selbst. Und das Kernstück dieses Wandels ist und war eben das genannte Passiv-Haus. Das ist ein Ein- oder Mehrfamilienhaus; ein Appartment, oder Wohnblock, die so gebaut wurden, dass sie auf herkömmliche Heiz-Systheme einfach verzichten können. Nicht nur das: sie produzieren mehr Energie als sie verbrauchen und können ihre überschüssige Energie zum Wohl aller im Netz zur Verfügung stellen. Grundlage dafür ist die Kombination aus neu entwickelten Dämm- und Baumaterialen, die so gut gemacht sind, da Wärmeverlust weitestgehend ausgeschlossen wird. Hinzu kommen die natürlichen Energiequellen, wie Biomasse, Erdwärme, Sonne, Wind. Und wenn diese Kombination dann in Siedlungen zusammen kommt wird der Effekt natürlich skaliert. Seit Jahren wird dieses System in ganz Österreich genutzt. Ein klares Zeugnis dessen habe ich vor kurzem bei einem Besuch in meinem Heimat-Dorf erlebt. Nach einem Jahr Wartezeit habe ich endlich einen Termin für die Installation einer neuen Photovoltaikanlage bekommen. Doch erst als ich durch mein Dorf ging, sah ich warum: in den neuen Siedlungen hatten über 90% der Häuser diese Anlagen bereits auf dem Dach. Und das ist erste in den letzten drei Jahren entstanden. Das zeigt wie rasch eine Energie dann doch gehen kann. Hinzu kommt daß wir in Österreich gelernt haben mit eine nachhaltige Ressource wie Holz zu nutzen. In der Verarbeitung innerhalb der Wertschöpfungskette verursacht Holz extrem niedrige Emissionen. Bedenken Sie, dass zwei Drittel aller Emmisionen innerhalb der Wertschöpfungskette auf der Welt entstehen. Nur nicht beim Holz.
Was kann man mit Holz ersetzen?
Insbesondere Beton, das ja ungeheuer viel CO2 produziert. Auch Plastik und Materialien aus dem Petro-Chemie-Sektor. Deshalb bauen wir heuet nicht nur Holz-Häuser sondern inzwischen auch Holz-Hochhäuser. Und sind viele unser Unternehmen ungeheuer aktive und von dort kann glaube ich ein nicht geringer Beitrag in die globale Wertschöpfungskette kommen.
Was bedeutet das nun für Österreich im Rahmen seiner Position in der EU?
Für uns alle ergibt sich jetzt der Wunsch aber auch die Frage nach neuen, verlässlichen und vor allem belastbaren Partnerschaften.
Wer sind dann Österreichs neuen Partner?
Da beginnt der Blick sich nach Lateinamerika zu richten. Das sind Gesellschaften, die sehr europäische geprägt sind. Und das ist auch die Frage nach dem EU-Mercosur-Abkommen. Konkret bei Argentinien hatten wir bisher immer das Gefühl gehabt, dass das Land immer nach Europa geschaut hat.
Und heute?
Heute sind nicht wir da nicht sicher inwieweit es nicht stärker nach China schaut. In jedem Fall, wissen wir aber, dass sowohl Argentinien wie die restlichen keine leichten Märkte sind. Deshalb hat auch die EU hat ein großes Interesse an den Block zu Block Verhandlungen. Als Integrationsgemeinschaft, die sie ist, hat dei EU ein großes Interesse daran mit anderen Integrationsgemeinschaften zu arbeiten und zu fördern. Warum? Weil diese viel potentere und interessanter Partner für uns sein können als ein einzelnes Land. Deshalb auch das große Interesse an den Verhandlungen mit dem Mercosur.
Trotzdem kommt es da nicht zum Abschluß. Warum?
Das die Verhandlungen schwierig sind ist nichts neues. Ein gutes Beispiel: 2019 gab es ein Abkommen das unterschriftsreif war. Dann war es politisch nicht mehr durchsetzbar und zwar auf beiden nicht. Zu erst, auf Seitens Brasiliens, wo es einen Regierungswechsel gab. Der damals neue Präsident 8Jair) Bolsonaro wollte das Abkommen nicht und legte das fix und fertig ausgearbeitete Projekt auf Eis. Aber auch auf unserer Seite gab es Bremser, darunter auch Österreich. Jetzt müssen wir warten bis das neue Zusatz-Dokument eingearbeitet ist. Es gilt die neuen Gesetzgebungen einzubringen, die diese Welt im Wandel uns auferlegt. Stichworte sind hier: Entwaldungsgesetz oder die Regelungen im Rahmen des Green Deals. Und dDa gibt es große Chancen, die der Mercosur nutzen kann. Wir werden sehen, ob es zu einer Einigung bis Dezember kommen kann. Wir hoffen alle, dass es so ist, da wir davon überzeugt sind, dass es ein Gewinn für beide Seiten ist. Es wäre zudem die beste Antwort auf das Engagement Chinas wäre. Denn es kann das was dieses Abkommen bringt nicht in dem Maße anbieten. Denn unser Interesse ist es, die Produktion in Latein Amerika auf ein europäisches Niveau zu heben und es weiter zu entwickeln, sie zu unterstützen die industriellen und die innovativen Produkte global wettbewerbsfähig zu machen. Sie in die globale Wertschöpfungskette einzugliedern und ihnen dafür den europäischen Markt zu öffnen.
Eines der delikatesten Punkte ist hier die Migrationsfrage. Wie kann ein EU-Mercosur-Abkommen hier wirken?
Wir haben Interesse an einer geregelten und legalen Migration. Da spreche ich nicht von Asyl, denn es wird keinen Asyl-Fall aus einem Mercosur-Land geben. Wir haben aber sehr wohl – und gerad ein Österreich einen ausgeprägten Fachkräftemangel. Wir suchen aktiv Personalfachkräfte in Sparten wie dem IT-Bereich, Hotelier oder Krankenpflege.
Konkret, glauben Sie das das Abkommen 2024 zur Unterzeichnung kommen kann?
Das ist immer alles sehr spekulativ. Und gerade nach den Wahlen hier in Argentinien wage ich es nicht eine Prognose abzugeben. Von EU-Seite hat man uns erklärt, dass es bis Ende des Jahres ein Zeitfenster gibt, um den Text fertig zu habe. Danach geht es in die politische Diskussion und danach zur Unterzeichnung und Ratifizierung. In jedem Fall glaube ich, dass da ein Momentum da ist, weil die Zollsenkungen unmittelbar für die Mercosur-Länder greifen. Denn sie würden asymetrisch erfolgen: wir machen sofort auf und nehmen Rücksicht auf die schwächeren Märkte. Aber ich erinnere wieder an 2019: so etwas kann immer wieder kommen. In jedem Fall glaube ich aber, dass es eine sehr gute Chance gibt, denn heute mehr denn je sehe ich eine Win-Win Situation.
Vier kurze Fragen zum Abschluß. Die erste, Ihr Lieblingsziel im Reiseland Argentinien?
Als Österreicher kann ich nur sagen, die Berge. Es ist ein Mythos, dass die Berge hier den europäischen Alpen ähnelt. Egal wo man ist, von Salta bis Tierra del Fuego sind diese Berge überall prachtvoll, immer anders; in der Form aber auch in der Flora, die mich mit den Araukarien immer wieder neu begeistert.
Was genießen Sie persönlich am meisten in Argentinien?
Vieles. Aber ganz besonders die Menschen: ihre Liebenswürdigkeit; ihre Offenheit und ihr großes Interesse.
Was können Sie einfach nicht verstehen von Argentinien?
Die Korruption.
Und was erstaunt Sie jeden Tag aufs Neue?
Die Fähigkeit der Argentinier immer wieder aufzustehen. Immer wieder die Kraft zu finden und in der Lage zu sein nach starken Krisen neu aufzustehen und von neuem Anzufangen und weiterzumachen. Das ist eine positive Einstellung zum Leben, die ich manchmal in Europa und auch in Österreich vermisse.
Ein sehr lesenswertes, reflektiertes Interview! Wenn der Wunsch meines geschätzten ehemaligen Kollegen in Buenos Aires Andreas Melán nur in Erfüllung ginge, dass das EU/MCS-Abkommen dieses Jahr erfolgreich über die Bühne geht! Nichts wäre kurzsichtiger und wahrlich gefährlicher für die EU wenn sie und ihre wenigen zögerlichen Mitgliedstaaten meinten, hier weiter den “starken Mann” markieren zu müssen. Erstens sind wir im internationalen Geflecht nun wahrlich nicht mehr unverzichtbar, und, zweitens, derart gravierende und langfristig angelegte und vielschichtige Ziele wie Klimaschutz diskutiert man besser innerhalb des Abkommens und nicht als Katalog von Bedingungen für einen Abschluss, zumal das Abkommen ja eben mehr ist, als nur ein Handelsabkommen: es ist ein Assoziierungsabkommen, ein Abkommen auch zur Ermöglichung vertiefender politischer Übereinkommen!
Sehr geehrter Herr Sante,
im Namen der Redaktion, herzlichen Dank für Ihren Kommentar.
Flavio Cannilla
Editor