27. 01. 2025

Buenos Aires (AT) Javier Milei hat in der letzten Woche seinem Ruf als „Unberechenbarer“ alle Ehre gemacht. In Washington beriet er sich mit Kristalina Georgieva, der Geschäftsführerin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Stunden später feierte er Donald Trump bei dessen Amtseinführung. Tage später nahm er am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos teil. Vor der Elite der globalen Unternehmerschaft und Wirtschaft zeigte er keinerlei Bedenken, lautstark über Homosexuelle, Klimaschützer und Sozialpolitiker gleichermaßen herzuziehen. Statt Ausblick gab es Rückblick; statt Programm, „Kulturkampf“; Schelte statt Vision. Der 54-jährige Ökonom und Staatschef schien mit seiner Rede im winterlichen Davos allen seinen Kritikern das Wort reden zu wollen: „Anarchokapitalist“, „Ultrarechter“, „Verrückter“.

Javier Milei, Davos 2025
Javier Milei durante su discurso en Foro Económico Mundial (WEF), en enero 2025. (Foto: WEF)

Man spricht über ihn. So wie bereits vor einem Jahr. Bei seinem letzten Auftritt im Januar 2024 verwirrte, ja verstörte er die Gemüter mit seinem Frontalangriff auf Sozialismus und „kollektivistische Experimente“ genauso wie in diesen Tagen.

„Die zwei Gesichter des Javier Milei“ titelte der argentinische Journalist Jorge Liotti seine wie immer empfehlenswerte sonntägliche Kolumne in der Tageszeitung La Nación. Hier zieht er eine Linie von Mileis Begeisterung für Technologie und Wirtschaft zu seiner Abscheu vor der „mentalen Verseuchung der Gleichberechtigungs-Fanatiker“. Das deutsche Handelsblatt zog ähnlich Bilanz über Mileis Auftritt in den Schweizer Alpen und nannte ihn einen Dr. Jekyll-&-Mr.-Hyde-Moment.

Die Frage, welches der beiden Gesichter des argentinischen Präsidenten überwiegt, bleibt unbeantwortet. Milei selbst sagte gleich bei seinem Amtsantritt im Dezember 2023: „Hört nicht auf das, was ich sage, sondern schaut auf das, was ich tue.“ Warum das auch zu Beginn des zweiten Jahres der Ära Milei der vielleicht einzig brauchbare Ratschlag ist, zeigen zwei Beispiele der letzten Woche.

Neue Regeln für den Export

Milei weilte noch in Davos, als sein Wirtschaftsminister Luis Caputo in Buenos Aires zur Pressekonferenz rief. Die Nachricht: Mit sofortiger Wirkung senkte die Regierung die Steuerabgaben für Weizen- und Landwirtschaftsexporte, allen voran die auf Sojaexporte. Diese werden von 33 % auf 26 % gesenkt, die für Sojaderivate von 31 % auf 24,5 %, für Weizen von 12 % auf 9,5 %, für Gerste von 12 % auf 9,5 %, für Sorghum von 12 % auf 9,5 %, für Mais von 12 % auf 9,5 % und für Sonnenblumen von 7 % auf 5,5 %.

Luis Caputo
Wirtschaftsminister Luis Caputo kündigt die Senkung der Steuerausgaben für Landwirtschafts-Exporte. (Foto: Casa Rosada)

Die Maßnahme soll zunächst nur bis Ende Juni gelten. Nach der Stabilisierung des Staatshaushalts sowie dem Rückgang der Inflation hält die Casa Rosada damit ihr Wort. Milei und Caputo hatten im letzten Jahr die Senkung der Steuerlast für den Landwirtschaftssektor in Aussicht gestellt, wenn Inflationsrückgang sowie Haushaltsüberschuss Bestand zeigten. Kein Zufall ist es jedoch, dass die Entscheidung fällt, während die internationalen Preise für landwirtschaftliche Rohstoffe im Keller sind und im September die MidtermWahlen anstehen. Milei will bei den Wahlen, bei denen wichtige Sitze im Abgeordnetenhaus sowie im Senat zu holen sind, die Stimme der Landwirtschaft auf seiner Seite wissen. Das sind ihm die rund US$ 800 Millionen wert, die der Staat durch die Reduktion der Exportausgaben einbüßt. Doch nachdem der Haushalt für das kommende Jahr gedeckt ist, der Peso zum Dollar mehr oder weniger in ruhigeren Fahrwassern liegt und die monatliche Inflation eher bei 2 % als bei 25 % (Dezember 2023) liegt, glaubt er sich auf der sicheren Seite – umso mehr, als er für 2025 weitere Einschnitte im Staatsapparat geplant hat.

Neuer Ansatzpunkt für die Kettensäge

So sollen im laufenden Jahr Bürokratie und Verwaltung um weitere 30 % eingestampft werden. Bereits 2024 hatte Deregulierung-Minister Federico Sturzenegger den argentinischen Staatsapparat um eine ähnliche Zahl zurückgefahren. Ein Beispiel: In der Steuerbehörde ARCA sind bis zu 1.800 Entlassungen geplant. Das Ziel: Die Zahl der Beschäftigten soll unter 20.000 bleiben. Ähnliche Einschnitte sind im Ministerium für Humankapital (ehemals Soziales und Arbeit) geplant, wie die Zeitung La Nación in diesen Tagen berichtete.

Federico Sturzenegger
Federico Sturzenegger, Minister für Deregulierung und Transformation des Staates.

Innerhalb der Regierung will man die Kürzungspläne nicht „beziffern“. Es gebe keine Zielvorgabe. „Wir würden mit einer Zahl oder Dogmatismus nicht vorankommen“, zitiert die Zeitung Quellen aus dem Umfeld von Sturzenegger. Das Ziel sei es, eine umfassende Überprüfung durchzuführen. Erst dann würde man festlegen, „wo und wie tief die Kettensäge anzusetzen ist“. „Das ist die Vorgehensweise, die wir als libertäre Regierung haben, wenn es darum geht, was wir zu tun oder nicht zu tun haben. Wir glauben zum Beispiel nicht, dass die Landes-Regierung für den Wohnungsbau zuständig sein sollte“, betonen die Quellen.

Die Beispiele zeigen: Milei und sein Team fahren geradlinig aus dem Jahr 2024 ins 2025. Der Respekt, den der Staatschef sich bis zu seinem jüngsten Auftritt in Davos unter ausländischen Kollegen, Politikern und auch global aufgestellten Unternehmern erarbeiten konnte, braucht jedoch eine neue Kommunikationsstrategie – weniger Donald Trump und mehr Fernando Henrique Cardoso. Der eine bellt und beißt um “America first”, der andere hat mit ruhiger Hand und klarem Ton Argentiniens Nachbar Brasilien zum global player gemacht.

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