Stuttgart / Buenos Aires – Europa ist exportabhängig. Etwa die Hälfte der Produktion ist nicht fürs eigene Land bestimmt. Und von den Ausfuhren geht ein Drittel in Staaten außerhalb der EU. Für Deutschland, vormals „Exportweltmeister“, gilt das im Besonderen. Deshalb sollten nicht nur die hier produzierenden Unternehmen an freiem Marktzugang interessiert sein, sondern auch die politischen Akteure. Denn eine offene Weltwirtschaft ist der Quell unseres Wohlstandes. Die Zeit der großen globalen Freihandelsrunden unter der Ägide der Welthandelsorganisation ist endgültig vorbei. Die sogenannte Doha-Runde, die 2001 ins Leben gerufen wurde und auch den Entwicklungsländern eine faire Teilnahme am Welthandel ermöglichen sollte, dämmert seit vielen Jahren im Wachkoma dahin. Puls ist so gut wie nicht mehr vorhanden.
Da weltweit nichts mehr geht, werden regionale Handelsabkommen umso wichtiger. Aber auch hier läuft nicht mehr viel. Das transatlantische Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) ist 2019 gescheitert. Nicht nur, aber eben auch wegen der famosen Chlorhühnchen. Und jetzt droht das nächste Fiasko.
Seit 20 Jahren verhandelt die EU mit den Mercosur-Staaten (Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay) ein Handelsabkommen. Ein Abschluss würde eine Freihandelszone von mehr als 700 Mio. Menschen schaffen!
Nach so langen Verhandlungen sollte man doch ziemlich nah am Ziel sein, oder? Denkste! Letzten Monat ließ Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Bombe platzen: Er will das Abkommen komplett neu verhandeln. Warum? Nach seiner Lesart ist die bislang verhandelte Übereinkunft unzureichend, um Klima- und Artenschutz zu gewährleisten. Der Mercosur müsse sich beim Klimaschutz stärker engagieren, schließlich sei der Amazonas die vielbeschworene grüne Lunge des Planeten.
Die Rolle der Agrarlobby
Dieser Grund dürfte nur vorgeschoben sein. Ich halte es für ausgemacht, dass Macron Angst vor der Wut der französischen Landwirte hat, die der Regierung seit Monaten das Leben schwer macht. Ein Blick auf die Abbildung auf der ersten Seite macht klar: Mit dem Mercosur bekämen agrarische Schwergewichte den Zugang zum europäischen Markt. Das würde den Konkurrenzdruck für europäische (sprich: französische) Bauern erhöhen. Und das kann Macron gerade nicht brauchen. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen hat derzeit bei den Umfragen für die Präsidentschaftswahl (2027) Oberwasser.
Europa darf sich ohnehin nicht als Hort der grünen Landwirtschaft aufspielen: Mehr als 80 % der EU-Agrarsubventionen fließen in die Förderung emissionsintensiver Tierprodukte.
Bis zur Europawahl ruht nun das Mercosur-Abkommen. Und es kommt noch dicker: Der französische Senat hat mit überwältigender Mehrheit die Ratifizierung des Freihandelsabkommens mit Kanada (CETA) abgelehnt, das seit 2017 vorläufig angewendet wird. Nun muss der Deal zurück in die Nationalversammlung, wo eine Mehrheit nicht mehr sicher ist.
Europa kann nicht mehr die Konditionen diktieren
Europa muss lernen, dass die Welt schon lange nicht mehr nach seiner Pfeife tanzt. Auf die EU entfallen gerade mal noch 17 % des weltweiten BIP, Tendenz fallend. Wenn wir zögern, wird China zugreifen. Xi lächelt schon. Dann wäre weder unserer Wirtschaft, noch der Umwelt in Südamerika geholfen. Klassisches Eigentor. Viele davon kann sich Europa nicht mehr leisten, will es seinen Wohlstand behalten.
Dr. Moritz Kraemer,
Chefvolkswirt und Leiter Research
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