Von:
Prof. Dr. Oliver Junk*
Deutschland ist nicht nur ein Einwanderungsland, sondern auch ein Auswanderungsland. Etwa 3,5 Millionen wahlberechtigte Deutsche leben im Ausland, davon circa 1,8 Millionen Menschen im europäischen Ausland. Auslandsdeutsche sind deutsche Staatsangehörige, die am Tag der Bundestagswahl im Ausland leben. Auch die im Ausland lebenden Deutschen haben ein Wahlrecht. Sie werden grundsätzlich, können sie eine gewisse Vertrautheit mit der Bundesrepublik Deutschland nachweisen, dem Wahlkreis ihres letzten Wohnsitzes zugeordnet.
Das aktive Wahlrecht für Wahlen zum Deutschen Bundestag steht den wahlberechtigten Deutschen, die dauerhaft im Ausland leben, allerdings nur im Wege der Briefwahl zu. Zur Wahrnehmung des Wahlrechts müssen sie selbst aktiv werden und von Mal zu Mal beantragen, in ein Wählerverzeichnis aufgenommen zu werden. Auffällig ist, dass im Rahmen der jüngsten Bundestagswahlen nur rund 3,5% der grds. wahlberechtigten Auslandsdeutschen die Aufnahme in ein solches Wählerverzeichnis beantragt haben. Es ist davon auszugehen, dass nicht einmal 100.000 Auslandsdeutsche Einfluss auf den Ausgang der jüngsten Bundestagswahl genommen haben.
Damit besteht aus rechtspolitischer Sicht ein zwingender Handlungsbedarf. Denn die Gründe liegen nicht im Desinteresse von Auslandsdeutschen an der Politik in Deutschland, vielmehr werden Auslandsdeutsche durch das vorgegebene tradierte Wahlverfahren de facto vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen.
Konkrete Forderungen der Stiftung Verbundenheit
zur Verbesserung des Wahlrechts für Auslandsdeutsche
1. Abbau von bürokratischen Hürden und Verbesserung der Teilnahmebedingungen
Inlands- und Auslandsdeutsche sind bei bestehendem Wahlrecht mit unterschiedlich hohen Wahlteilhabehürden konfrontiert. Inlandsdeutsche werden aufgrund des örtlichen Melderegisters in der Regel automatisch in das Wahlverzeichnis aufgenommen und bekommen eine Benachrichtigung. Mit dieser – und dem gültigen Personalausweis – kann gewählt werden. Dagegen muss der oder die wahlberechtigte Auslandsdeutsche sich mittels eines papierbasierten (analogen) Antragsverfahrens vor jeder Bundestagswahl erneut in das Wählerverzeichnis einer Kommune eintragen lassen. Die danach zugeschickten Unterlagen muß er oder sie dann fristgerecht zum Wahltermin auf eigene Kosten zurück in die Bundesrepublik Deutschland schicken. Die ausschließliche Möglichkeit der Briefwahl verhindert vielfach tatsächlich die Ausübung des aktiven Wahlrechts.
Das Angebot (viel zu weniger) Botschaften und Konsulate, die Wahlunterlagen mit dem deutlich sichereren und schnelleren diplomatischen Kurierdienst schicken zu lassen, ist nicht ausreichend.
Eine effektive Wahlteilnahme ist für Auslandsdeutsche nicht möglich, bestehende Hürden führen zu einem faktischen Ausschluss vom aktiven Wahlrecht. Nicht verständlich ist es ferner, dass Auslandsdeutsche die Kosten für die Abgabe ihrer Stimme übernehmen müssen.
2. Digitalisierung des Eintragungsverfahrens / elektronisches Antragsverfahren Digitalisierungsfortschritte erlauben es, ein elektronisches Antragsverfahren und damit die digitale Eintragung in das Wählerverzeichnis zu ermöglichen. Internationale Vorbilder für ein elektronisches Antragsverfahren gibt es. Zu den rechtlichen Hürden und erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen darf mit Blick ins demokratische europäische Ausland festgehalten werden, dass offenkundig rechtmäßige Regelungen geschaffen werden können.
3. Direktwahl in Auslandsvertretungen
Die deutschen Auslandsvertretungen sollten wahlbehördliche Funktionen übernehmen (dürfen). Die bisherige Funktion der Auslandsvertretungen, im Rahmen der Wahlverfahrung nur zur Beschleunigung der Beförderung der Wahlbriefe beizutragen, ist unzureichend. Ein Angebot der Präsenzwahl in konsularischen Vertretungen durch die Einrichtung von Wahlkabinen muss möglich gemacht werden. Dazu sind neue Wahlverfahren für Auslandsdeutsche zu entwickeln, insbesondere Änderungen des Wahlrechts im Hinblick auf die Zuordnung der Erststimmen.
4. Einführung von Wahlkreisen im Ausland
Es sind Auslandswahlkreise zu bilden, wie dies beispielsweise in Frankreich und Italien bereits der Fall ist. Damit werden die Wahlbeteiligung erhöht, die Repräsentation verstärkt und internationale Verbindungen ausgebaut. Die spezifischen Interessen von Auslandsdeutschen werden schlüssiger aufgenommen und vertreten. Auslandswahlkreise reduzieren ferner den Aufwand für die deutschen Auslandsvertretungen, eine Urnenwahl zu ermöglichen.
Optional sollte – anstelle der Wahl im Auslandswahlkreis – die Wahl in der früheren Wohnsitzgemeinde in Deutschland eröffnet werden. Für in grenznahen Gebieten zu Deutschland wohnende Auslandsdeutsche kommt ferner die optionale Zuordnung zu einem Wahlkreis einer benachbarten Gemeinde im Bundesgebiet in Betracht.
5. E-Voting
E-Voting (Verwendung elektronischer Hilfsmittel für die Stimmabgabe und/oder die Stimmenauszählung) ist die schlüssigste Form der Distanzwahl und sollte – ggf. als Pilotprojekt – zur übernächsten Bundestagswahl möglich gemacht werden. Damit wird der Wahlgrundsatz der Allgemeinheit der Wahl insgesamt gestärkt und die Wahlbeteiligung von Auslandsdeutschen erhöht.
Im Zentrum des Konzepts muss die Digitalisierung des gesamten Wahlvorgangs bis zur Auswertung der Stimmen stehen. Die Einführung des E-Votings in Deutschland wird seit Jahren diskutiert, insbesondere um die Wahlbeteiligung zu erhöhen sowie Partizipation im Rahmen des veränderten und zunehmend digitalen Informations- und Diskussionsverhaltens der Bevölkerung zu verbessern.
Nach den insbesondere mit der Covid-19-Pandemie verbundenen digitalen Fortschritten, muss nun auch in den Themenfeldern E-Partizipation und E-Voting eine neue Dynamik entstehen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot von Wahlcomputern vor 15 Jahren ist in der Post-Covid-Zeit und vor dem Hintergrund der rasanten technischen Entwicklungen neu zu betrachten.
Hinzuweisen ist darüberhinausgehend darauf, dass die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des E-Votings bisher ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Inlandsbezugs beurteilt wird. Unbeachtet bleibt dagegen die Frage der Zulässigkeit nach dem Recht des Staates, in dem sich der bzw. die Auslandsdeutsche aufhält.
Das System der Briefwahl zeigt, dass es Begründungen dafür gibt, die öffentliche Kontrolle der Stimmabgabe mit dem Ziel zu beschränken, möglichst umfassende Wahlbeteiligung zu erreichen. Auch für E-Voting gibt es, ähnlich wie bei dem elektronischen Wählerverzeichnis, Referenzländer. Die Möglichkeit der Wahl per E-Voting besteht derzeit in 14 Ländern weltweit.
Fazit
Das Bundeswahlrecht für Auslandsdeutsche muss dringend reformiert werden. Teilhabe von Auslandsdeutschen an politischen Prozessen in Deutschland und das Einbringen ihrer Gedanken stellen gerade in den Vormarschzeiten von Populisten und Nationalisten eine wichtige Bereicherung und Stärkung der Demokratie dar. Das gilt nicht nur für Friedens-, Migrations- und Wirtschaftspolitik. Der Gesetzgeber ist aufgefordert, die Chancen des digitalen Fortschritts und die digitalen Kompetenzen von Auslandsdeutschen zu nutzen. Reagiert der Gesetzgeber nicht, wird das Interesse von Auslandsdeutschen an der Politik in Deutschland und der Teilnahme an Wahlen weiter zurückgehen. Es ist nicht hinnehmbar, dass trotz vielfältiger Reformmöglichkeiten und technischer Neuerungen die Auslandsdeutschen abgehängt werden von deutscher Politik. Sie scheitern an bürokratischen Anforderungen und anderen Hindernissen bei der Stimmabgabe.
Der Autor:
Prof. Dr. Oliver Junk ist Professor für Verwaltungsrecht mit dem Schwerpunkt Kommunalrecht an der Hochschule Harz. Von 2011 bis 2021 war er Oberbürgermeister der Stadt Goslar. Seit 2015 ist er Vorstandsvorsitzender derStiftung Verbundenheit.
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