01. 08. 2025

Buenos Aires (AT) – An einem kühlen Morgen in Buenos Aires empfängt Botschafter Hans-Ruedi Bortis das Argentinische Tageblatt in seinem Büro im zwölften Stock der Schweizer Botschaft an der Avenida Santa Fe. Kurz vor dem 1. August, dem Schweizer Nationalfeiertag, spricht er über die bevorstehenden Feierlichkeiten, zieht Bilanz seiner Amtszeit in Argentinien und ordnet die aktuellen bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und Argentinien ein.

Im Gespräch blickt der Diplomat zudem auf seine vielseitige Karriere zurück – eine Laufbahn, in der er zentrale politische Umbrüche des späten 20. Jahrhunderts hautnah miterlebt hat, sowohl in Argentinien als auch in Europa.

Herr Botschafter, vielen Dank, dass Sie uns empfangen haben. Es ist uns eine Freude, gemeinsam mit Ihnen erneut den Schweizer Nationalfeiertag zu begehen. Zunächst die Frage: Was bedeutet Ihnen dieses Datum – insbesondere unter dem Aspekt, dass Sie es im Rahmen Ihrer diplomatischen Laufbahn häufig außerhalb der Schweiz feiern mussten?

Das stimmt. Ich habe die Schweiz verlassen, als ich noch keine 20 Jahre alt war. Seitdem sind beinahe 45 Jahre vergangen – mit nur wenigen Unterbrechungen, in denen ich in der Schweiz gelebt habe. Etwa 35 Nationalfeiertage habe ich im Ausland verbracht. Der 1. August erinnert an das Bündnis von 1291 zwischen den drei Urkantonen Uri, Schwyz und Unterwalden – ein Akt des Widerstands gegen die damalige Herrschaft der Habsburger. Ein symbolträchtiges Datum, das für Unabhängigkeit und Eigenverantwortung steht.

Und ganz persönlich – was verbinden Sie mit diesem Tag?

Der 1. August ist für mich ein bedeutungsvoller Moment. Er ruft das Bewusstsein hervor, Teil eines Landes mit stabilen politischen Strukturen zu sein. Seit der Gründung des modernen Bundesstaates 1848 hat die Schweiz ein einzigartiges Regierungssystem entwickelt: Sieben Bundesräte repräsentieren die vier größten Parteien und verfügen gemeinsam über eine breite demokratische Legitimation. In der Schweiz gibt es keine klassische Opposition – wir sprechen von einer Konsensdemokratie, in der Entscheidungen im Dialog getroffen werden.

Diese politische Stabilität spiegelt sich auch in den zentralen Werten der Schweiz wider: Verlässlichkeit, Pünktlichkeit, Seriosität und Solidarität. In der Außenpolitik setzen wir auf Neutralität, Dialogbereitschaft und universelle Prinzipien. Ohne nennenswerte Rohstoffvorkommen – abgesehen vom Wasser – lebt die Schweiz vom internationalen Handel. Sie importiert Ressourcen, verarbeitet sie technologisch hochwertig und exportiert sie in die ganze Welt. So entsteht eine offene, innovative und wettbewerbsfähige Wirtschaft.

Schweiz, Argentinien, Hans-Ruedi Bortis, Schweizer Botschaft Buenos Aires, Nationalfeiertag Schweiz, bilaterale Beziehungen, Mercosur-EFTA-Abkommen, Investitionen in Argentinien, Schweizer Unternehmen, Schweizer Gemeinschaft in Argentinien, Konsensdemokratie, Außenpolitik Schweiz, Papst Johannes Paul II, Päpstliche Schweizergarde, Religionsfreiheit, europäische Sicherheit, Moskau, Ukraine-Krieg, Migration, diplomatische Beziehungen
Der Schweizer Nationalfeiertag wird in über 40 Vereinen im ganzen Land mit Stolz gefeiert.

Feierlichkeiten in Argentinien

Welche Aktivitäten sind in Argentinien zum Nationalfeiertag geplant?

Rund 40 Schweizer Vereine im ganzen Land organisieren lokale Feiern. Die Botschaft lädt am 1. August zu einem offiziellen Empfang im Palacio San Miguel ein, da die Residenz nicht genug Platz für die rund 500 Gäste bietet. Erwartet werden Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Justiz, Diplomatie sowie aus der Schweizer Gemeinschaft. Auch der Vorstand der FASRA (Föderation der Schweizer Vereine in der Republik Argentinien) wird anwesend sein, ebenso wie Delegierte zahlreicher Mitgliedsvereine.

Werden auch Gäste aus dem Landesinneren anreisen?

Ja, einige Vereinspräsidenten und -vertreter werden kommen, aber viele Veranstaltungen finden wie üblich am Samstag statt, um mehr Menschen die Teilnahme zu ermöglichen. Der 1. August fällt diesmal auf einen Freitag – das erschwert die Anreise für manche. Dennoch wird der Dachverband der Vereine sicher vertreten sein.

Die Anfänge der Schweizer in Argentinien

In diesem Jahr begeht die deutsche Gemeinschaft das 200. Jubiläum ihrer Einwanderung nach Argentinien. Wie sieht es mit der Schweizer Präsenz aus?

Bereits 1810 wurden Schweizer namentlich in offiziellen Dokumenten erwähnt. 1834 entstand das erste ehrenamtliche Schweizer Handelskonsulat – noch vor der Gründung des modernen Bundesstaates. Deshalb blicken wir 2034 auf 200 Jahre institutionelle Beziehungen zwischen der Schweiz und Argentinien zurück.

Schweiz, Argentinien, Hans-Ruedi Bortis, Schweizer Botschaft Buenos Aires, Nationalfeiertag Schweiz, bilaterale Beziehungen, Mercosur-EFTA-Abkommen, Investitionen in Argentinien, Schweizer Unternehmen, Schweizer Gemeinschaft in Argentinien, Konsensdemokratie, Außenpolitik Schweiz, Papst Johannes Paul II, Päpstliche Schweizergarde, Religionsfreiheit, europäische Sicherheit, Moskau, Ukraine-Krieg, Migration, diplomatische Beziehungen
Mehr als 70 Schweizer Unternehmen sind seit über einem Jahrhundert in Argentinien tätig.

Bilaterale Beziehungen unter neuen Vorzeichen

Wie beurteilen Sie die bilateralen Beziehungen vor dem Hintergrund Ihrer früheren und aktuellen Amtszeit?

Während meiner ersten Amtszeit von 2003 bis 2007 erlebte ich Argentinien in einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs nach der 1:1-Krise. Heute befinden wir uns in einem völlig anderen Kontext. Als Präsident Milei im Dezember 2023 sein Amt antrat, war das Land in einer schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage. Seine Regierung verfolgt einen klaren Sparkurs: Es soll nur ausgegeben werden, was auch eingenommen wird – ein Prinzip, das wir in der Schweiz ebenfalls kennen.

Besonders wichtig sind die Bekämpfung der Inflation und die Stabilisierung der Staatsfinanzen. Der Mittelstand, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, braucht verlässliche Rahmenbedingungen und Zugang zu Krediten. Vertrauen ist entscheidend – und das entsteht nur durch konsequente Haushaltspolitik.

Die bilaterale Dynamik war zuletzt sehr rege: Präsident Milei war dreimal in der Schweiz – zweimal in Davos, einmal beim Friedensgipfel zur Ukraine. Auch Außenministerin Mondino besuchte die Schweiz 2023. Kürzlich empfingen wir den Schweizer Vizepräsidenten und Wirtschaftsminister Guy Parmelin im Rahmen des Mercosur-Gipfels. Dabei wurde das Ende der Verhandlungen zum Freihandelsabkommen zwischen Mercosur und der EFTA bekannt gegeben – ein Meilenstein.

Schweiz, Argentinien, Hans-Ruedi Bortis, Schweizer Botschaft Buenos Aires, Nationalfeiertag Schweiz, bilaterale Beziehungen, Mercosur-EFTA-Abkommen, Investitionen in Argentinien, Schweizer Unternehmen, Schweizer Gemeinschaft in Argentinien, Konsensdemokratie, Außenpolitik Schweiz, Papst Johannes Paul II, Päpstliche Schweizergarde, Religionsfreiheit, europäische Sicherheit, Moskau, Ukraine-Krieg, Migration, diplomatische Beziehungen
Das Abkommen zwischen dem Mercosur und der EFTA eröffnet neue Investitionsmöglichkeiten für die Schweiz in Argentinien.

Investitionen und Perspektiven

Wie schätzen Sie das Investitionsklima in Argentinien ein?

Es gibt Fortschritte: Wir verfügen über bilaterale Abkommen zum Investitionsschutz, zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur steuerlichen Zusammenarbeit. Auch im Bereich der Luftfahrt und der sozialen Sicherheit bestehen Übereinkommen. Das Abkommen zwischen dem Mercosur und der EFTA erweitert diesen Rahmen – es muss noch ratifiziert werden, doch der Verhandlungsschluss ist ein klares Signal.

Das neue Anreizsystem für Großinvestitionen (RIGI) ist für Schweizer Unternehmen besonders in den Bereichen Energie und Bergbau interessant. Über 70 Schweizer Unternehmen sind seit über einem Jahrhundert in Argentinien präsent, darunter ABB, Zurich, Nestlé und Novartis. Die Stimmung ist grundsätzlich positiv – wenn auch mit vorsichtiger Zurückhaltung. Die Parlamentswahlen im Oktober werden mit Blick auf die politische Stabilität von Bedeutung sein.

Zehn Jahre in der Päpstlichen Schweizergarde

Lassen Sie uns auf Ihre ganz persönliche Laufbahn blicken. Wie war Ihre Zeit in der Päpstlichen Schweizergarde?

Nach Schule und Militärdienst verspürte ich den Wunsch, die Welt kennenzulernen. Italien, die Vitalität Roms und die Spiritualität des Vatikans faszinierten mich – nicht zuletzt durch den starken Glauben meiner Mutter. So wurde ich Gardist im Vatikan und blieb zehn Jahre. Es war ein Privileg, Papst Johannes Paul II. zu dienen – einem außergewöhnlichen Menschen. Ich begleitete ihn bei zahlreichen Reisen, sah ihn täglich aus nächster Nähe. Ich erlebte die politische und spirituelle Strahlkraft dieses Ortes und wurde Zeuge weltgeschichtlicher Ereignisse wie dem Fall der Berliner Mauer und der friedlichen Auflösung der Sowjetunion. Eine prägende, zutiefst menschliche und geistige Erfahrung.

Papst Johannes Paul II. und Argentinien

In Argentinien genießt Papst Johannes Paul II. bis heute hohes Ansehen – nicht zuletzt wegen seiner Vermittlerrolle im Beagle-Kanal-Konflikt. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Ich war im Oktober 1984 bei der Unterzeichnung des Friedens- und Freundschaftsvertrags zwischen Argentinien und Chile im Vatikan dabei – als Mitglied der Schweizergarde. Ein historischer Moment. Ich habe zudem die politischen Entwicklungen Argentiniens seit dem Falklandkrieg sowie die beiden Papstbesuche 1982 und 1987 genau verfolgt.

Religionsvielfalt und Toleranz

Seit Ihrer ersten Amtszeit betonen Sie die religiöse Koexistenz im Stadtteil Once. Hat sich daran seit dem 7. Oktober etwas geändert?

In der Schweiz haben wir den einzigen echten Bürgerkrieg aus religiösen Gründen erlebt – zwischen konservativ-katholischen und liberal-protestantischen Kantonen. 1848 wurde daraus eine föderale Lösung geboren. Schweizer Einwanderer brachten dieses Verständnis für Religionsfreiheit mit nach Argentinien.

Trotz der Anschläge auf die israelische Botschaft und die AMIA hat sich in Argentinien kein Klima der religiösen Konfrontation etabliert. Der gegenseitige Respekt zwischen den Gemeinschaften ist tief verankert und in der heutigen Welt ein Beispiel von hoher Bedeutung.

Schweiz, Argentinien, Hans-Ruedi Bortis, Schweizer Botschaft Buenos Aires, Nationalfeiertag Schweiz, bilaterale Beziehungen, Mercosur-EFTA-Abkommen, Investitionen in Argentinien, Schweizer Unternehmen, Schweizer Gemeinschaft in Argentinien, Konsensdemokratie, Außenpolitik Schweiz, Papst Johannes Paul II, Päpstliche Schweizergarde, Religionsfreiheit, europäische Sicherheit, Moskau, Ukraine-Krieg, Migration, diplomatische Beziehungen
Vom Vatikan aus war der Botschafter direkter Zeuge des Falls der Berliner Mauer.

Jahre in Moskau und der Blick auf Europa

Nach Ihrer ersten Station in Buenos Aires folgte Moskau. Was bleibt Ihnen aus dieser Zeit in Erinnerung?

Nach dem Fall der Berliner Mauer und der Auflösung der Sowjetunion hegten viele die Hoffnung auf ein dauerhaft friedliches Europa. Doch schon 1992 – und später mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien – wurde klar, dass diese Hoffnung trügerisch war. Als ich zwischen 2007 und 2011 in Moskau lebte, zeichnete sich bereits ein Kurswechsel ab. Russland veränderte seine Rhetorik und Außenpolitik. Die Annexion Südossetiens und Abchasiens 2008, die Besetzung der Krim 2014 und schließlich die Invasion der Ukraine – das alles erfüllt Europa mit Sorge. Selbst historisch neutrale Länder wie Schweden und Finnland traten der NATO bei.

Auch für die Schweiz stellt sich zunehmend die Frage nach einer zeitgemäßen Verteidigung – etwa im Hinblick auf die einstigen Bunkeranlagen des Kalten Krieges.

Schweiz, Argentinien, Hans-Ruedi Bortis, Schweizer Botschaft Buenos Aires, Nationalfeiertag Schweiz, bilaterale Beziehungen, Mercosur-EFTA-Abkommen, Investitionen in Argentinien, Schweizer Unternehmen, Schweizer Gemeinschaft in Argentinien, Konsensdemokratie, Außenpolitik Schweiz, Papst Johannes Paul II, Päpstliche Schweizergarde, Religionsfreiheit, europäische Sicherheit, Moskau, Ukraine-Krieg, Migration, diplomatische Beziehungen
„Unsere Verbindung zu Argentinien wird niemals enden“, versichert Botschafter Bortis.

Ein neuer Lebensabschnitt

Werden Sie nach Ihrer Pensionierung in die Schweiz zurückkehren oder in Argentinien bleiben?

Meine Mission endet am 1. November. Ich trete in den Ruhestand, wir werden uns zunächst in der Dominikanischen Republik niederlassen, einige Monate in der Schweiz verbringen und später Europa bereisen. Die Verbindung zu Argentinien bleibt jedoch bestehen.

Was möchten Sie nach zwei Amtszeiten als Botschafter in Buenos Aires hinterlassen?

Wir haben gemeinsam mit der Botschaft, der Argentinisch-Schweizerischen Handelskammer und der Schweizer Gemeinschaft (FASRA) an vielen nachhaltigen Projekten gearbeitet. Diese Zusammenarbeit ist für mich von bleibender Bedeutung – und soll Teil des Vermächtnisses sein, das ich hinterlasse.

Können Sie sich vorstellen, 2034 zur Feier von 200 Jahren institutioneller Beziehungen in Argentinien zu sein?

Wer weiß … Das hängt von unserer Gesundheit ab. Aber unsere Verbindung zu Argentinien ist tief: Unsere Kinder sprechen „porteñisch“, und auch im Ruhestand planen wir gemeinsame Aktivitäten. Diese Beziehung wird nicht enden – das ist sicher.

Argentinisches Tageblatt, Podcast, Spotify, Spotify for Podcasters, Episodios, Wendepunkt
Es könnte dich interessieren

Argentinien liefert erstmals LNG aus Vaca Muerta nach Deutschland: Historischer Vertrag mit SEFE

Southern Energy unterzeichnete den ersten langfristigen Exportvertrag für Flüssigerdgas aus der ...
02. 12. 2025

Bayerns Agrarministerin Kaniber zu Besuch in Argentinien: Mercosur-Abkommen im Fokus

Michaela Kaniber reiste mit einer Wirtschaftsdelegation nach Buenos Aires, um die bilaterale ...
01. 12. 2025

Javier Milei: Deutscher FDP-Politiker fordert Liberalisierungs-Reformen nach argentinischem Vorbild

Michael Georg Link, Vizepräsident der Friedrich-Naumann-Stiftung, lobte Argentiniens Reformkurs ...
14. 11. 2025

Nach dem Wahlsieg sollte Milei diese bedeutende Gelegenheit nutzen

Der Wahlerfolg von Präsident Javier Milei verschafft ihm neue politische Spielräume – nun muss ...
05. 11. 2025
Hans-Dieter HoltzmannVon

Hacé tu comentario

Por si acaso, tu email no se mostrará ;)