Buenos Aires (AT) – Für Novak Djokovic wäre Tomás Föhrig einer der “Young Gun” seiner Zunft, wäre der Deutsch-Argentinier ein Tennisspieler. Ist er aber nicht. Vielleicht besser so – für “Altmeister” Djokovic. Denn Föhrig ist alles nur nicht eines: die Ruhe selbst. Der 29-jährige ist Unternehmer, Verbandsvorsitzender, Züchter, Anwalt, und schläft -nach eigenen Angaben- „kaum mehr als vier Stunden“. Kann er seiner Leidenschaft -der Landwirtschaft– nachgehen, reichen 24 Stunden pro Tag nicht aus. Um so weniger im Vorfeld der „Rural“, der größten Landwirtschafts- und Züchtermesse Argentiniens. Föhrig ist seit 2023 der geschäftsführende Vorsitzende des “Ateneo”, der Jugendorganisation der Sociedad Rural Argentina, der Gesellschaft, die alljährlich seit 100 Jahren die einflussreiche Messe im Herzen von Buenos Aires veranstaltet. 1866 gegründet, ist die Sociedad Rural nicht zuletzt Sprachrohr und Resonanzkasten des Wirtschaftssektors, der für mehr als 10 % des argentinischen Bruttosozialproduktes verantwortlich zeichnet. Der Jungunternehmer-Verband Ateneo, dem Föhrig vorsitzt, zählt heute 200 Mitglieder.
Am heutigen 18. Juli öffnet das Traditionstreffen zum 136 Mal ihre Tore. Bis zum 28. Juli treffen sich hier Produzenten und Unternehmer aber auch Familien, um Landwirtschaft zum Anfassen zu zelebrieren. Für die diesjährige Ausgabe erwarten die Veranstalter über 1 Million Gäste und über 2000 Tiere. Auf dem knapp 55.000 Quadratmeter großen Gelände im Traditionsviertel Palermo, präsentieren mehr als 400 Aussteller und Züchter aus rund 15 argentinischen Provinzen von Kuh bis Pferd, und von IT bis Traktor alles rund um die traditionellste argentinische Lebensform: „el campo“. Argentinisches Tageblatt sprach exklusiv mit Föhrig über die Zukunft einer Tätigkeit, die sich auch in der drittgrößten Volkswirtschaft Lateinamerikas zwischen Dimensionen wie AgTech und Bioökonomie neu erfinden muss.
Argentinisches Tageblatt: In diesen Tagen, beginnt eine neue Ausgabe der “Rural”. Es ist die 136. Ausgabe dieses alljährlichen Jour fixe des argentinischen Landwirtschaftssektors. Wie ist die Stimmung in diesem herausfordernden Jahr 2024i?
Tomás Föhrig: Hoffnungsvoll. Alle kommen mit der Freude und dem Wunsch, ihre Innovationen und Fortschritte des letzten Jahres in Landwirtschaft und Viehzucht zeigen zu können. Denn wie immer, Palermo ist immer auch ein Fest, ein Festival fast, für den gesamten Sektor.
Wie ordnet sich das Ateneo -die Organisation, der Sie vorsitzen- ist, in dieses Bild ein?
Das Ateneo versteht sich als Treffpunkt für zukünftige Führungskräfte in der Landwirtschaft. Und es müssen nicht unbedingt landwirtschaftliche Führungskräfte sein. Es gibt auch diejenigen, die eine technische Ausbildung suchen oder auch diejenigen, die einfach mit der Landwirtschaft in Kontakt kommen wollen. Kurz wir verstehen das Ateneo als ein Ort, der die jungen Leute zusammenbringt, die etwas über den landwirtschaftlichen Sektor in Argentinien lernen wollen.
Wie ist die Arbeit mit dem Ausland, mit Verbänden ähnlicher Art, etwa in der DACH – Region?
Die argentinische Landwirtschaft ist ein extrem breit gefächerter Sektor und ist weltweit bekannt. Das öffnet uns überdurchschnittlich viele Türen. So arbeiten wir auch mit der AHK, der Vertretung der Deutschen Außenhandelskammer in Buenos Aires. Es gibt viele wichtige deutsche Unternehmen, die in Argentinien arbeiten und hier ihre Produkte im Bereich der Landwirtschaft anbieten, aber auch argentinische Agrarprodukte sind in Deutschland in hohem Maße bekannt.
Argentinien ist in Europa vor allem für seine Landwirtschaft bekannt, die auf der Produktion von Fleisch oder Getreide, etwa Soja und Mais, basiert. Weniger bekannt ist, dass der Sektor weltweit auch bei Biotechnologie, Bioökonomie oder an der Schnittstelle zwischen Landwirtschaft und Technologie (AgTech) führend ist. Was lässt sich diese Erfahrung in den deutschsprachigen Märkten ausnutzen?
Deutschland, die Schweiz und Österreich, sind bekannt für ihre Industrie, das Wissens und ihre Arbeitsweise. Argentinien hat in Sachen Landwirtschaft aus der Erfahrung heraus gelernt, wie man im Agrarsektor unter schwierigen Bedingungen arbeiten kann, und trotzdem gute Ergebnisse erzielen kann. Heute glaube ich, dass das Potenzial darin besteht, den Moment auszunutzen, den Argentinien gerade durchmacht: ein politischer und kultureller Wandel, der darauf abzielt, neuer Ideen und neue Geschäftsmodell zu fördern und auszunutzen.
Konkret, wie und wo ist das zu sehen?
Wir haben mindestens 20 Jahre angesammeltes Wissen, das bis heute noch nicht ausgeschöpft werden konnte. Das können sie bei den mehr Kilo Fleisch sehen, die heute jeder Hektar abwirft; bei den mehr Kilo Getreide pro Hektar; bei dem hochwertigen Saatgut oder auch der Technologie; die bereits zur Steigerung der Ernteerträge eingesetzt wird. Doch vielleicht noch deutlicher, beim Durchstarten unserer regionalen Volkswirtschaften.
Was ist unter den „regionale Wirtschaften für einen Argentinier?
„Regionale Volkswirtschaften“ sind für uns ländliche Räume und Produktionsmodelle, die sich allein in bestimmten Regionen Argentiniens finden lassen. Es handelt sich um Geschäftsfelder, die durch die natürlichen Ressourcen der Region bestimmt sind. Es sind also keine commodities, wie zum Beispiel Soja oder Mais. Beispiele sind hier: der Yerba Mate-Anbau, der sich auf die Provinzen Misiones und Corrientes beschränkt; Zitronen und Zucker, in Nordargentinien, insbesondere in Tucumán; Trauben und Wein, in Mendoza; Wolle in ganz Patagonien; Blaubeeren in Entre Ríos und Buenos Aires. Das sind alles Wirtschaftszweige, die Einkommen generieren und die gesamte Wertschöpfungskette der Regionen bewegen. Und, nicht weniger wichtig, sie fördern die soziale Anbindung der Menschen, die dort leben.
Argentinien befindet sich seit Dezember im politischen und wirtschaftlichen Umbruch. Der Agrarsektor erwirtschaftet heute knapp 10 % des Bruttoinlandsprodukts des Landes. Was hat sich in den letzten fünf Monaten für die argentinischen Landbewohner verändert? Vor allem eines, die Vorhersehbarkeit. Heute, haben wir einen Zeithorizont. Sicher es fehlt noch, hinten und vorn. Wir warten etwa immer noch auf die Vereinheitlichung bei Wechselkursen und Devisen, die Aufhebung der Exportbeschränkungen, den freien Marktzugang. Doch die Regierung zeigt mit kleinen Schritten, dass sie auf dem Weg dorthin sind. Und das gibt uns einen anderen Planungshorizont.
Trotzdem, vieles sind noch reine Versprechen.
Es stimmt, es sind immer noch Versprechen, es sind keine Fakten. Deshalb werden wir auch sehr aufmerksam verfolgen, wie sich die Versprechen zu Fakten werden. Doch wir haben immer mehr auch das Gefühl, dass wir in eine Situation kommen, die von klareren und gerechteren Regeln gezeichnet ist. Und das macht es uns im Agrarsektor leichter, mit größerem Vertrauen zu investieren.
Eines der großen Versprechen sind die Änderungen, die das sogenannte „Ley Bases“ und der vor einigen Wochen verabschiedete Fiskalvertrag mit sich bringen. Welche Wirkung erwarten Sie für die lokale Landwirtschaft ?
Zunächst einmal ist es schon einmal ein Gesetz und eines das viele Punkte der argentinischen Politik logischer und klarer macht. Argentinien -auch ihre Landwirtschaft- leidet heute unter der Last einer Regulierungswut, die sich über lange Jahre angesammelt hat. Es ist ein Gewirr von Vorschriften entstanden, durch das man sich als Unternehmer ständig durchschlagen musste, um überhaupt etwas voranbringen zu können, sei es beim Export, der Produktion, der Investition. Und das hat zu einer ständigen und großen Unsicherheit geführt. Das Ley Bases Gesetz erweckt zumindest den Eindruck, dass es die Vorschriften zugunsten der Produktion vereinfacht: das sind Fragen des Arbeitsrechtes, der Produktionsanreize. Und das gerade für Kleine und Mittlere Unternehmen. Und all das wird folglich zu besseren Ergebnissen in der gesamten Wertschöpfungskette der argentinischen Landwirtschaft führen, was wir ja als Agribusiness bezeichnen.
Konkret: Wachsen die Exporte? Sind Verbesserungen für die Erzeuger spürbar?
Wie ich bereits sagte, nach wie vor leiden wir unter Quellensteuern, einem fragmentierten Devisenmarkt sowie Ausfuhrbeschränkungen. Aber, bei Zollfragen, und auch bei Export-Quoten für bestimmte Produkte ist bereits Bewegung zu spüren. Es gibt Steuerauflagen, die bereits im Sinken begriffen sind. All das trägt dazu bei, dass die Rahmenbedingungen gerade für die Landwirtschaft günstiger werden. Wie gesagt, wir sind noch weit vom Ideal entfernt, aber wir sind auf dem Weg dorthin. Ich habe das Gefühl, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen.
Wo liegt also heute die Chance für Innovationen in der argentinischen Landwirtschaft und insbesondere für junge Menschen in diesem Sektor?
Die größte Chance, die es hier zu nutzen gilt, ist die Fähigkeit der jungen Argentinier, unter Krisenbedingungen in sehr speziellen und Technologie intensiven Segmenten Spezialwissen und Praxis zu verbinden. Sie haben die Möglichkeit, schon in jungen Jahren ein hochspezielles Fach- und Praxiswissen zu erwerben, das sie später als Unternehmer oder Produzenten nutzen werden.
Wo liegt da konkret die große Chance?
Weil die Welt immer mehr Nahrungsmittel benötigt und der Druck immer größer wird, mehr Nahrungsmittel in besserer Qualität und mit immer größerer Nachhaltigkeit zu produzieren. Denn es gibt keinen größeren Umweltschützer als den landwirtschaftlichen Erzeuger.
Was ist Ihr nächstes Projekt?
Ich kann Ihnen nicht viel darüber verraten, aber ich arbeite an einer Frage des Rechts und des nachhaltigen Finanzwesens und in Verbindung mit Nachhaltigkeit, Impact Investing. Und das erlaubt es mir auch meine andere Leidenschaft auszuleben, Jura.
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