06. 11. 2023

Buenos Aires (AT) – Wahlumfragen sind heute ein steiniges Gelände. Zu sehr haben die Demoskopen in den letzten Jahren bei Wahlen danebengegriffen. Auch -oder gerade- in Argentinien. Vielleicht deshalb waren vor der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober die meisten Trendbarometer Verschlusssache. Zur Halbzeit, zwei Wochen vor dem Stichtag am 19. November trauen sich jetzt drei Firmen, ihre Erhebnungen publik zu machen. Vielleicht weil die Zahlen ein unerwartetes Bild zeigen.

Inteligencia Analítica (IA) ist ein Markforschungsinstitut das dem Sieger der ersten Runde, Wirtschaftsminister Sergio Massa, aus persönlichen Gründen nahesteht. Sebastián Galmarini, CEO des Unternehmens, ist Massas Schwager. Eine in den ersten November-Tagen durchgeführte repräsentative Umfrage von IA zeigt heute jedoch das Tandem von Javier Milei und Victoria Villarruel mit 50,6% vor der Sergio Massa und seinem Vize Agustín Rossi, die 49,4%, erzielen. Noch deutlicher ist der Abstand zwischen dem bisherigen zweiten und dem Sieger des 22. Oktober bei Atlas Intel. Die brasilianische Beratungsfirma gibt dem libertären Milei einen Vorsprung von 4 Prozentpunkten vor dem Wirtschaftsminister und Kandidaten der Regierungskoalition Unión por la Patria. Den Zahlen von Atlas Intel zufolge würde das Ticket Milei-Villarruel 52% der erwarteten Stimmen vor 48% des Duos Massa-Rossi für sich bestimmen. Wichtig: Atlas Intel war das einzige Umfrageinstitut, dass in den Tagen vor der ersten Runde am 22. Oktober, den überraschenden Sieg Massas vorhergesagt hatte.

Und auch die jüngsten Zahlen des Research-Unternehmens Aresco, geben dem enfant terrible der argentinischen Politik, Javier Milei, einen unerwarteten Vorsprung gegenüber Massa. Nach den in Zeitung La Nacion am Samstag veröffentlichten Daten, schafft es Milei in der Aresco-Umfrage auf ein Plus von ebenfalls vier Prozent vor Massa. Die Umfrage von Aresco war mit einer Stichprobengröße von 6.000 befragten Personen die breiteste der drei Erhebungen. Das Fehlerpotential liegt bei allen dreien bei einem Durchschnitt von +/- 2%, nach eigenen Angaben aller drei Erhebungsinstitute.

Die Umfrage-Falle

Für das schlechte Abschneiden von Wirtschaftsminister Massa in der potentiellen Wählergunst machen die Demoskopen heute vor allem den jüngsten Streit zwischen Regierung und Energiesektor verantwortlich. Wie das Argentinische Tageblatt berichtete, hatte das Wirtschaftsministerium in den Tagen nach dem ersten Wahlgang, Mühe das Gerücht um mögliche Preisanstiege für Benzin und Diesel sowie die damit verbunden Versorgungssicherheit unter Kontrolle zu bekommen.

Autoschlangen belagerten über mehrere Tage die Tankstellen im ganzen Land. Das Energiesekretariat, das dem Wirtschaftsminister untersteht, musste kurzfristig mit zu zehn Tankschiffen das benötigte Öl im Ausland teuer einkaufen. Die Regierung und allen voran Sergio Massa machten die internationalen Öl- und Erdgasproduzenten für die Krise verantwortlich. Ganz im Stile der populistischen Regierung der Jahre 2003 bis 2015 drohte Massa mit Maßnahmen wie Exporteinschränkungen oder Lizenzentzug.

Für das gute Abschneiden Mileis, machen die Demoskopen aber auch die Konsolidierung des Zentrum-Rechts-Blocks verantwortlich. Noch am Wahl-Abend, der ihren überraschenden dritten Platz und damit ihr Ausscheiden besiegelte, hatte Patricia Bullrich und ihr Mentor, der ehemalige Präsident Mauricio Macri, Milei die Unterstützung ihrer Partei (PRO) angeboten. In allen drei der jetzt bekannt gewordenen Umfragen geben mehr als 70% der ehemaligen Bullrich Wähler an, bei der Stichwahl am 19. November für Milei zu stimmen. Sollte es tatsächlich so kommen, könnten die rund sieben Millionen Bullrich-Wähler am Ende als unerwartete „Königsmacher“  die Wahl entscheiden.

Eine Ewigkeit von zwei Wochen

Am heutigen Montag, sind es bis zur Entscheidung am 19. November noch zwei Wochen: ein Ewigkeit für argentinische Verhältnisse, wie jeder Argentinien-Kenner bestätigen kann. Nicht umsonst titelte am Sonntag auch La Nacion Chefredakteur José Del Río seinen Wochen-Kommentar mit „Die Umfrage-Falle“.

Das Massa-Lager zeigte Anfang Oktober, dass es sehr wohl weiß, wie man sich aus eine Umfrage-Tief herausarbeitet. Nicht zu vergessen: Massa gewann die Wahlen des 22. Oktober trotz einer Inflationsrate, die jeden Monat den argentinischen Peso um 12% entwertet, sowie mehreren Skandalen, die kurz vor dem Urnengang in seinem Umfeld bekannt wurden. Und auch im Milei-Team will sich in keinem Fall auf den jüngsten Zahlen ausruhen noch ihnen Gewicht beimessen. „Wir wissen nicht was von diesen Zahlen wahr ist und was politische Schmutzkampagne“, zitiert Del Río in seinem Kommentar einen Sprecher aus dem Team von Milei. „Wir wissen nur, dass es eine ganz knappe Wahl sein wird und dass es uns viel Mühe abverlangen wird, sie zu überwachen. Jede Stimme zählt”.

Sicher scheint aber, dass es am 19. November einem Foto-Finish zwischen den verbleibenden Massa und Milei kommen dürfte. Zur Halbzeit ist das eine Überraschung, mit der nach dem deutlichen Sieg Massas bei der ersten Runde kaum einer gerechnet rechnen konnte. Argentinien in Reinkultur.

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