29. 08. 2023

Das Pulver der Vorwahlen ist verpufft. Die Kandidaten stehen fest. Auf der Straße konzentrieren sich die Argentinier wieder auf das Wichtigste: jeden Tag das tägliche Brot zu sichern in einem Land das heute mit einer Jahresinflation von über 113% kämpft. Die jüngste Abwertung des argentinischen Pesos liegt gerade erst ein paar Wochen zurück. Für die nächste ist es nur eine Frage von Monaten: bis Mitte November will das Team um Wirtschaftsminister und Präsidentschaftskandidaten Sergio Massa an dem heutigen Wert von AR$ 365 pro USD 1 festhalten.

Der Grund: Am 22. Oktober sind die Präsidentschaftswahlen bei denen Massa sich selbst um das höchste Amt bewirbt. Währenddessen hoffen er und sein Team, dem Druck des Marktes und der Verbraucher mit Hilfe der US$ 7,5 Milliarden standzuhalten, die der Internationale Währungsfonds (IWF) Ende August im Rahmen des neu geordneten Unterstützungskredites genehmigte.

Die jüngste Plünderungswelle in Supermärkten allein in neun Bezirken des Großraums Buenos Aires in der letzten August-Woche könnte die Pläne -wie so viele andere – allerdings zu Nichte machen. Der Kampf um das wirtschaftliche Überleben ist in Argentinien längst Privatsache.

In diesem Umfeld, haben die drei aussichtsreichsten Kandidaten begonnen die wichtigste Personalie offenzulegen: die Namen derjenigen, die im Falle eines Wahlsieges das Wirtschaftsministerium vearntworten könnten. Der Überraschungssieger der Vorwahlen, der Liberale Javier Miei (La Libertad Avanza – LAA) setzt dabei auf eine Gruppe aus Volkswirtschaftlern, Investmentbankern und Politikern mit Erfahrung aus den 90er Jahren. Die Zeit in der der argentinische Peso 1:1 an den Dollar gebunden war.

Patricia Bullrich, deren Partei Juntos por el Cambio (JxC) den zweiten Platz bei den Vorwahlen holte, baut dagegen auf eine Mannschaft aus Wirtschaftsexperten, die in der Regierung von ex-Präsident Mauricio Macri, von 2015 bis 2019, gedient haben.

Noch Wirtschaftsminister Sergio Massa (Unidos por la Patria – UdP) hält sich bisher weitestgehend bedeckt. Alles deutet darauf hin, dass er seinen Wirtschaftsminister aus den Reihen seiner heutigen Mannschaft wählen wird.

Team Milei

Selbst gelernter Volkswirtschaftler hat Javier Milei in seinen ersten Kontakten mit dem IWF klar gemacht, dass er die Verantwortung für die Wirtschaftspolitik nicht ganz abgeben will. Für sein zukünftiges Wirtschaftskabinetts bestätigte er aber auch inzwischen:

Emilio Ocampo: Volkswirtschaftler und Investmentbanker (Chase Manhattan; Morgan Stanley; u.a.); arbeitete in New York und London; ist heute Leiter des Forschungszentrums für Wirtschafts- und Finanzgeschichte an der Wirtschaftsuniversität UCEMA Buenos Aires. 

Die andere Wahl: Wer wird Wirtschaftsminister?
Emilio Ocampo

Roque Fernández: Wirtschaftsprüfer; ehem. Chef der argentinischen Zentralbank (1991 -1996) und Wirtschaftsminister (1996 – 1999).

Carlos Rodríguez: Volkswirtschaftler; ehem. Staatssekretär für Wirtschaftspolitik (1997 – 1998); Gründer der Wirtschaftsuniversität UCEMA; Anhänger der Theorien der „Chicagoer Schule“ um Monetaristen wie Milton Friedmann, Theodore W. Schultz und George Stigler.

Zur Priorität der ersten 100 Tage seiner Regierung erklärte Milei die „Dollarisierung“ der Wirtschaft in Gang zu setzen. Darin inbegriffen: die Abschaffung der Zentralbank, die Beseitigung der Wechselkursschranken sowie der Exportsteuern. Grundstein der Plans, den sein Team derzeit unter der Leitung von Ocampo ausarbeitet, ist ein Währungsstabilitätsfonds, der zur Deckung der Passiva öffentlicher Banken dienen soll, wie Ocampo gegenüber Bloomberg erklärte.

Der Fond in Höhe von geschätzten USD 26 Milliarden würde an einem Finanzplatz außerhalb Argentiniens -Schweiz, Irland oder Luxemburg sind im Gespräch- eingerichtet werden, heißt es aus dem Team MIlei. Als Deckungssicherheiten sollen die Schuldverschreibungen der Staatsregierung gegenüber der Zentralbank und die Pensionskassen dienen.

Team Bullrich

Patricia Bullrich kann aus einem umfangreichen Fundus an Regierungserfahrenen Wirtschaflern und Bankern mit internationaler Regierungs-Erfahrung schöpfen, die JxC seit Jahren begleiten. In der engsten Auswahl standen bis vor einigen Wochen vor allem drei Namen:

Carlos Melconian: Volkswirtschaftler; Direktor der staatlichen Banco de la Nación Argentina (2015 – 2017); Gründer des Consulting-Unternehmens M&S Consultores und heute Leiter des wirtschaftspolitischen  think-tanks Instituto de Estudios sobre la Realidad Argentina y Latinoamericana (IERAL).

Die andere Wahl: Wer wird Wirtschaftsminister?
Carlos Melconian.

Luciano Laspina: Volkswirtschaftler; Abgeordneter in der Depütiertenversammlung, dem argentinischen Unterhaus; Leiter des wirtschaftspolitischen think-tanks Centro de Estudios para el Progreso (CEPP).

Hernán Lacunza: Volkswirtschaftler; ehem. Wirtschaftsminister der Provinz Buenos Aires (2015 – 2019) und der Regierung unter Mauricio Macri (2019).

In der letzten August-Woche machte es Bullrich dann auch offiziell: sie kürte Melconian zum zukünftigen Wirtschaftsminister in einer zukünftigen Regierung Bullrich. Laspina könnte dagegen die Zentralbank übernehmen.

Der für seine einfache Sprache bekannte Melconian hatte in den letzten zwei Jahren im Rahmen der IERAL an einem tiefgehenden Ordnungsplan für die lokale Wirtschaft gearbeitet. Dieser sieht unter anderem die Reduzierung der öffentlichen Ausgaben, einen “raschen” Ausstieg aus der Wechselkursabsicherung und ein Anreizsystem für einen Dollar-Kapitalmarkt. Punktuell sieht der Plan Gesetze zum Schutz von Investitionen, zur Förderung der Beschäftigung und zur Vereinfachung und zum Abbau von Bürokratie.

Und Team Massa?

Der amtierende Wirtschaftsminister und Kandidat des Parteienbündnisses Unión por la Patria (UdP) hat bisher seine Karten in Personal-Fragen nicht offengelegt. Analysten erwarten jedoch, dass es einer seiner heutigen Mitarbeiter ist, der ihn im Amt beerben könnte. Zu den wichtigsten Anwärtern gehören:

Gabriel Rubinstein: Volkswirtschaftler; Gründer des Consultingunternehmens Gabriel Rubinstein & Asociados; Auslandserfahrung beim Rating-Unternehmen Duff & Phelps in Chicago.

Die andere Wahl: Wer wird Wirtschaftsminister?
Gabriel Rubinstein.

Lisandro Cleri, Betriebswirt mit Schwerpunkt Finanzen; Geschäftsführer beim Börsenmaklers Chaco Bursátil; 

Eduardo Setti: Volkswirtschaftler; ehem. Leiter des Investmentfonds der Pensionskasse ANSES.

Zu seinen Wirtschafts-Prioritäten im Fall einer zukünftigen Regierung erklärte der noch Wirtschaftsminister Massa bisher nur die Ankurbelung der Exportwirtshaft mit den Schwerpunkten: Energie (Oil&Gas Vaca Muerta); Bergbau (Lithium) und Landwirtschaft.

Das Rennen um die Casa Rosada ist heute auch ein Rennen um drei unterschiedliche Wirtschaftsmodelle: der Chicago-Monetarismus Javier Mileis trifft auf die lateinamerikanische Version des Ordoliberalismus des Melconian-Plans von Patricia Bullrich und beide auf das zentralistisch orientierte Wirtschaftsmodell von Sergio Massa.

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