17. 05. 2024

Buenos Aires / Bern (AT) – Der Mercosur und die Europäische Unión (EU) verhandeln seit mehr als 20 Jahren die Unterzeichnung eines Freihandelsabkommens. 2019 war es fast so weit. Es fehlte nur die Ratifizierung durch die Parlamente. Doch ein Regierungswechsel in Brasilien, zuerst, sowie die Kehrtwendung des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, kurz danach, legten den fertig ausgehandelten Vertrag wieder auf Eis. Die Bemühungen die Totgeburt seitdem wiederzubeleben und den deal wieder auf den Verhandlungs-Tisch zu legen, blieben bisher erfolglos. Jetzt sieht es für die EU so aus, als ob die Konkurrenz an ihr vorbeiziehen könnte. Die Rede ist von EFTA, der von Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein gebildeten Wirtschaftsassoziation.

Zur Erinnerung: EFTA und Mercosur starteten 2017 die Hauptverhandlungen und konnten 2019 „in der Substanz” einen Abschluss vermelden. Eine Pandemie, Energiekrise und neuer europäischer Krieg später, verhandeln die Parteien nun seit dem 15. April die letzten offenen Punkte. Im Vergleich zur unendlichen EU-Geschichte stehen die Zeichen gut, dass das Abkommen Ende des Jahres Realität ist.

Sollte es dazu kommen, würde der deal allein für die Schweiz bedeuten, dass 95 % der Ausfuhren zollbefreit in Länder wie Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay eingeführt werden. Das würde jährlichen Zolleinsparungen von über 180 Millionen Franken bedeuten. Die Schweiz exportiert heute Güter im Wert von etwa 3,6 Milliarden Franken pro Jahr in die Mercosur-Staaten.

Auf der Gegenseite liefern die Mercosur-Staaten vor allem Nahrungsmittel in die Schweiz. Nahrungs- und Genussmittel machen einen Anteil von 57 Prozent an den gesamten Importen aus. Dabei stechen Kaffee und Fleisch als wichtigste Exportgüter heraus.

Thomas Aeschi ist seit 2017 Fraktionspräsident der Schweizerischen Volkspartei (SVP), die heute stärkste politische Kraft im Schweizer Bundeshaus. Er ist Mitglied der Kommission für Wirtschaft und Abgaben und war im März im Rahmen der EFTA-Delegation in Buenos Aires. Im Gespräch mit dem Argentinischen Tageblatt erklärt er exklusiv, warum die Zeichen bei diesem deal besser stehen könnten als bei der Konkurrenz.

Argentinisches Tageblatt: Wie groß sind die Chancen, dass Efta Mercosur besser verläuft, als es zwischen EU und Mercosur der Fall war?
Thomas Aeschi: In Verhandlungen ist nichts garantiert. Wie es im Englischen heißt: „Nothing is agreed, until everything is agreed“. Es gibt keine Garantien, dass die Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss finden. Trotzdem sind die Eindrücke, die wir mit Vertretern der beiden Kammern sowohl in Argentinien wie auch Brasilien und der federführenden Administration mit zurückgenommen haben, sind eher ermutigend. Das können wir sagen. Doch sind noch Punkte offen, die in den kommen Monaten zu verhandeln sind. Wir hoffen mit unserer Reise aber auch die Unterstützung der parlamentarischen Seite der vier Efta Staaten zum Ausdruck gebracht zu haben. Über die Einzelheiten, wo die Verhandlungen derzeit stehen, sind wir aber nicht informiert, weil wir die Legislative und nicht die Exekutive sind. Doch die Rückmeldung, die wir erhalten haben, die stimmt uns positiv.

Wo liegen die größten Herausforderungen das Abkommen zum Abschluss zu bringen? Wir gibt es am meisten zu arbeiten?
Das kann ich Ihnen nicht sagen. Da sind wir wie gesagt nicht im Einzelnen informiert. Es gibt noch open points for discussion, wie uns berichtet wurde. Im April wurden die Gespräche wieder aufgenommen. Was aber was noch genau offen ist, da bin ich zu wenig informiert.

Die Schweiz ist Verhandlungsführer?
Nein, bei diesem Abkommen ist es Norwegen. Die Schweiz war Verhandlungsführer beim Abkommen mit Indien. Hier ist Norwegen im lead. Doch es ist auch richtig, dass die beiden größten EFTA-Staaten –Schweiz und Norwegen mehr Ressourcen in die Verhandlungen einbringen können.

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Thomas Aeschi repräsentiert im Schweizer Bundeshaus den Kanton Zug. (Foto: SVP)

Was würde ein Abschluss bedeuten für Mercosur und EFTA?
Was ich sagen kann ist das beide Regionen Werte teilen und an einer Vertiefung ihrer Beziehungen interessiert sind. Bei allen Gesprächen erhielten wir Signale, die über eine Zusammenarbeit im Rahmen eines Handelsabkommens hinausgehen. Von Mercosur-Seite war ein großes Interesse spürbar in Bereichen wie Nachhaltigkeit zusammenzuarbeiten und hier insbesondere vom Fachwissen und der Erfahrung der EFTA-Staaten zu profitieren.

War Ihr Besuch im März der erste in Argentinien?
Nein. Ich war zum ersten Mal 1999 in Argentinien. Es war die erste große Auslandsreise als Student. Ich war damals 20 Jahre alt. Tagsüber lernte ich Spanisch, und abends Tango getanzt. Danach zwei Monate mit dem Rucksack und Bus durchs Land gefahren. Ich habe das Land schätzen und lieben gelernt. Ich bin dann zwei bis drei Mal zurückgekommen. Darunter einmal im Rahmen einer EFTA-Delegation, 2017, vor Beginn der Aufnahme der Verhandlungen.

Argentinien durchlebt die Mischung einer Rosskur und einer längst erwarteten Korrektur. Sie sind Banker und Politiker. Wie nachhaltig beurteilen Sie aus dieser Perspektive den Wechsel, den die neue Regierung anstrebt?
Als ausländischer Parlamentarier kann und will ich mir kein Urteil erlauben über etwas, was die Argentinierinnen und Argentinier ganz für sich entscheiden müssen. Was ich sagen kann, ist das Herr Milei eine sehr ambitionierte Agenda verfolgt. Seine Wahl bringt zum Ausdruck, dass ein doch breiter Teil der Bevölkerung einen Wechsel in der Politik wünscht und nicht einfach so fortfahren will wie in den letzten Jahrzehnten. Aber der Weg und die Reformen haben große Konsequenzen auf den Mittelstand, wie ich es auch von Bekannten, die in Buenos Aires wohnen, aus erster Hand erfahren konnte. Es ist fast unmöglich Devisen ins Ausland zu bringen. Beide Töchter der Familie haben das Land verlassen (London und München). Das zeigt, wie sehr in den letzten Jahren gut ausgebildete Fachkräfte Argentinien verlassen haben. Und ich hoffe natürlich, dass es Milei gelingt mit den Reformen, das Land wieder so aufzustellen, dass junge Menschen wieder eine Zukunft im eigenen Land sehen und aufbauen möchten.

Als ehemaliger Banker und heutiger Unternehmensberater, auf welche Fundamentaldaten schauen Sie, wenn Sie Argentinien heute beobachten?
Der Bereich, der uns am meisten für ein Freihandelsabkommen interessiert ist, natürlich, was Argentinien exportiert. Wie hoch sind die Tarife des Mercosur für Reimporte. Das vergleichen wir dann mit EFTA-Staaten. Und da sieht man das unsere Volkswirtschaften sehr komplementär sind. Es werden unterschiedliche Dinge hergestellt so das sich das alles sehr gut ergänzt. Das zweite ist, das der Mercosur-Markt heute protektionistisch ist und dass die EFTA-Staaten davon entsprechend stark profitieren können. Das Mercosur-Abkommen ist -nach dem Abkommen mit Indien- eines der wichtigsten Abkommen für die EFTA-Staaten. Natürlich sind andere, wie das mit Vietnam, Thailand oder Malaysia, die wir am Verhandeln sind, auch interessant. Doch ich sehe eines der größten Potentiale, wenn nicht das größte, im Mercosur-Abkommen.  

In welchen drei Bereichen ergänzen sich Mercosur und Efta am ehesten?
Da sind es vor allem um pharmazeutische Produkte, sustainability, renewable energy. Da gibt es sehr viel Fachwissen in den EFTA-Staaten; vor allem Norwegen und Island bringen hier viel Know-how an den Tisch. In Brasilien wurde sehr viel Interesse gezeigt, um von diesem Wissen profitieren zu können. Ein weiterer Bereich, der vor allem in Argentinien auf Interesse stieß, war Maschinenbau. Ein Farmer aus dem Chaco sprach uns ganz gezielt auf Schweizer Maschinen an, die er aufgrund ihrer Qualität für seinen Betrieb dringend benötige. Er kann diese aber nur zu sehr hohen Tarifen einführen. Ein Abkommen würde das natürlich vereinfachen.

Wo kann die Schweiz von dem Abkommen profitieren?
Als Schweizer Sicht geht es vor allem darum, die Handelsbeziehungen zu diversifizieren. Wir liegen Mitten in Europa sind aber nicht Teil der Europäischen Union und gerade diese Beziehungen zeigen uns, dass eine Diversifikation des Handels und der Dienstleistungen mit Staaten außerhalb der EU ein wichtiges Element der Absicherung darstellen. Und da bietet Südamerika und vor allem die Mercosur-Staaten ein besonderes Potenzial. Zudem gibt es eine große Schweizer Gemeinschaft, die in allen fünf Mercosur-Staaten lebt.

Thmoas Aeschi
Thomas Aeschi ist seit 2017 Fraktionspräsident der SVP im Schweizer Bundeshaus. (Foto: swissinfo.ch)

Bei Dienstleistungen liegt das Interesse wo am stärksten?
Im Bereich sustainability, bei Wasserwirtschaft, erneuerbaren Energien, Landwirtschaftstechnologie und im breiteren Unternehmenssektor.

Aus Ihrer Sicht eines ehemaligen M&A-Spezialisten, welche Bereitschaft sehen Sie seitens der Schweizer Unternehmerschaft, sich in Argentinien über Direktinvestments, Joint Ventures oder sogar Übernahmen zu engagieren?
Hierzu müssen wir zunächst bedenken: Schweizer Unternehmen, die sich bei anderen beteiligen wollen oder ähnliche, suchen immer zunächst ein stabiles Marktumfeld. Sie suchen die Sicherheit, dass ihre Investitionen auch in drei bis zehn Jahren honoriert werden und dass diese nach einer gewissen Anlaufphase gewinnbringend geführt werden können. Wenn es der derzeitigen Regierung gelingen sollte, diese Sicherheit den Investoren zu geben; wenn sich zeigt, dass diese Regierung nicht nur ein einmaliges Erlebnis war, sondern sich auch bei den midterm elections im nächsten Jahr bewähren kann; und dass die Unterstützung für die Reformen anhält, dann ist das ein Zeichen, das sich vermehrt Schweizer Firmen mit größeren Investitionen in Argentinien exponieren könnten. Aktuell sind viele noch am Abwarten, weil unklar ist, ob Milei die Reformvorhaben, die doch sehr weitreichend sind, auch durchbringen kann.

In diesem Jahr feiern Argentinien und die Schweiz 190 Jahre bilaterale Beziehungen. Im besten Fall, wann könnte es zu einer Unterzeichnung zwischen EFTA und Mercosur kommen? Juli und August?
Zu einer Unterschrift kann es frühestens Ende des Jahres kommen, glaube ich. Es sind noch viele Punkte offen. Die Verhandlungen ziehen jetzt erst wieder an. Die Phase des detaillierten Prüfens des Vertragstextes beispielsweise, dauert üblicherweise zwei bis drei Monate. Und das kann erst starten, wenn die offenen Punkte bereinigt sind. Deswegen, frühestens wäre es möglich, im vierten Quartal zu unterzeichnen; aber es kann auch 2025 werden. Juli und August ist einfach zu optimistisch gedacht.

Sie kennen Argentinien aus den 90er Jahren und 2017. Was für ein Eindruck hinterließ das Land bei dem jüngsten Besuch?
Argentinien hat sich weiterentwickelt, trotz allem. Ich hoffe das das Land seinen Weg auf einen Wachstumspfad zurückfinden kann. Die Schönheit von Buenos Aires sowie des gesamten Landes sind nach wie vor da. Ich hoffe und wünsche mir, dass die Menschen ihren Optimismus und an eine erfolgreiche Zukunft glauben können. Ich bin überzeugt, dass Argentinien in diese erfolgreiche Zukunft geführt werden kann, mit der richtigen Politik.

Ist der jetzige Weg der richtige Weg?
Ich denke zahlreiche Reformvorhaben von Milei sind richtige und wichtige Schritte. Doch die sind schmerzhaft. Die Frage ist, ob die Bevölkerung diese schmerzhaften Reformen mittragen kann im Wissen, dass der Weg dahin zu kurzfristigen weiteren Verlusten führen kann, auch in dem Wissen, dass es längerfristig zu einer längeren Wachstumsrate und mehr Wohlstand kommen kann. Das ist aus der Distanz schwer zu beurteilen. 

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