04. 10. 2024

Buenos Aires (AT) – Der Energiesektor entwickelt sich in den letzten Monaten immer wieder als Hoffnungsträger im Rahmen der strikten Ordnungspolitik mit der die Regierung Milei die argentinische Wirtschaft auf Kurs bringen will. Jüngste Zahlen der argentinischen Zentralbank bestätigen den Trend im Energiesektors: Während die Handelsbilanz im Energiesektor 2022 noch ein Defizit von fünf Milliarden US-Dollar (EUR 4,49 Milliarden) verzeichnete, wird für 2024 ein Plus von fünf Milliarden US-Dollar prognostiziert. Bis 2030 könnte der Überschuss auf 25 Milliarden US-Dollar (EUR 22,43 Milliarden Euro) ansteigen – eine potenzielle Rettungsleine für das wirtschaftlich angeschlagene und hoch verschuldete Argentinien.

“Nach Jahrzehnten mit einem negativen Saldo im argentinischen Energieaußenhandel wird für dieses Jahr ein Überschuss von mehr als 4,5 Milliarden US-Dollar (4 Milliarden Euro) erwartet. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Privatsektor die derzeitige Wirtschaftspolitik zu schätzen weiß. Die zielt darauf ab, 20 Jahre Interventionismus bei den Preisen für Rohöl und seine Derivate zu beenden”, sagt Emilio Apud vom Think Tank “Libertad y Progresso” im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Argentinien wird als stabiler Akteur in Sachen Energiewende immer attraktiver.

Wie berichtet hatte das argentinische Parlament kürzlich den rechtlichen Rahmen für die laufenden Maßnahmen abgesegnet. Stärker Nutznießer ist das Vaca-Muerta-Feld und hier insbesondere die Provinz Neuquén. “Der diesjährige Handelsbilanzüberschuss ist auf einen starken Anstieg der Rohölexporte und einen Rückgang der LNG-Importe zurückzuführen, da der lokale Markt stärker mit lokalem Gas aus Vaca Muerta abgedeckt wird”, unterstreicht Apud. Vaca Muerta erstreckt sich über die Provinzen Neuquén, Río Negro, La Pampa und Mendoza.

Carl Moses, Analyst und Wirtschaftsberater erklärte gegenüber der DW: “Nach ziemlich glaubwürdigen Prognosen der Regierung werden der Energiesektor und der Bergbau in den nächsten sechs oder sieben Jahren zum zweiten und dritten Stützpfeiler der Handelsbilanz. Neben der Agrarwirtschaft, die bisher quasi allein das Handelsdefizit aller anderen Wirtschaftszweige deckt”. 

Hoffnung auf Milliardeninvestitionen

Die Regierung Milei setzt laut der argentinischen Online-Zeitung Infobae große Hoffnungen auf die Deregulierung des Energiesektors und die Einführung des Anreizsystems für Großinvestitionen (RIGI). Sie rechnet mit Investitionen von 54,3 Milliarden US-Dollar (48,7 Milliarden Euro) in diesem Bereich. Diese optimistischen Prognosen basieren auf einer Präsentation, die der Vizepräsident der Zentralbank, Vladimir Werning, bei mehreren Investorentreffen in New York vorgestellt hat.

Die guten Nachrichten sind nicht allein der derzeitigen Regierung zuzumünzen: Sowohl die Vorgängerregierung unter Alberto Fernández als auch die aktuelle Regierung unter Javier Milei haben zur Verbesserung der Lage beigetragen. Alberto Fernández und sein Wirtschaftsminiter Sergio Massa hatten im letzten Jahr die Pipeline Nestor Kirchner fertiggestellt. Diese erleichtert und beschleunigt den Transport der Rohstoffe in die argentinischen Produktionszentren sowie Exportanlagen- und Häfen.

“Die Nestor-Kirchner-Pipeline von Vaca Muerta nach Buenos Aires ermöglichte insbesonder eine große Einsparung bei den Gasimporten”, so Moses. Nun kommt das Gas aus dem eigenen Land. Und die aktuelle Regierung drückt aufs Tempo: “Im Rahmen des RIGI-Förderprogramms für Großinvestitionen werden nun in allerkürzester Zeit diverse Großprojekte zum Ausbau der Exportinfrastruktur für den Öl- und Gasexport aus Vaca Muerta in Angriff genommen. Das größte Vorhaben ist dabei der Plan der staatlichen Ölfirma YPF, die ein LNG-Terminal und die entsprechende Zuliefer-Infrastruktur plant. Das Projekt hat ein Investitionsvolumen von rund 30 Milliarden US-Dollar (EUR 26,9 Milliarden)”, erklärte der Experte.

Das Staatsunternehmen YPF hatte Mitte des Jahres bekanntgegeben im malayischen Konzenr Petronás den Partner zum Bau der LNG-Anlage gefunden zu haben. Die Asiaten hatten sich aber vor knapp zwei Wochen wieder aus dem deal zurückgezogen. Als Grund gab das Unternehmen den Ausbau ähnlicher Projekte in anderen Märkten priorisieren zu müssen. YPF ist seitdem mit neuen potentielle Partnern im Gespräch, heißt es aus der YPF-Zentrale.

Präsident Javier Milei besuchte Vaca Muerta und traf sich mit Geschäftsleuten aus dem Sektor.

Priorität für Öl und Gas

Die optimistischen Prognosen stützen sich vor allem auf die erhofften Großinvestitionen in die traditionelle Öl- und Gasindustrie. Während der Ausbau erneuerbarer Energien und die Entwicklung der Wasserstoffproduktion im Moment eher im Schneckentempo vorankommen, gibt es für den von den Europäern favorisierten grünen Wasserstoff noch immer keinen gesetzlichen Rahmen – anders als in vielen Nachbarländern, wo man schon längst den Turbo gezündet hat. “Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Aufbau der Wasserstoffproduktion könnten nun deutlich langsamer an Fahrt gewinnen”, erklärt Moses.

Sollte der globale Wasserstoffmarkt in zehn oder zwanzig Jahren jedoch tatsächlich die erwünschte Reife erreichen, könnte Argentinien als bedeutender Lieferant auf diesem Markt auftreten. Doch bis es so weit ist, steht der Ausbau der Öl- und Gasproduktion sowie der Aufbau einer Exportinfrastruktur, besonders für LNG, ganz oben auf der Prioritätenliste. 

Europas Hoffnung auf Energie: Argentinien im Fokus

“Argentinien hat die besten Voraussetzungen für Wind- und Sonneneinstrahlung, die für Investitionen in erneuerbare Energien attraktiv sind. Es verfügt über eines der größten Lithiumvorkommen und die zweitgrößten Schiefergasressourcen der Welt und weiß, wie man sie effizient ausbeuten kann. Die meisten dieser Möglichkeiten sind für den Exportmarkt bestimmt”, sagte Apud gegenüber DW. 

Europa steht vor der Herausforderung, seine Energieversorgung neu zu gestalten und dabei auf geopolitisch verlässliche Märkte zu setzen, die eine klare Identifikation mit westlichen Werten und Interessen aufweisen. Diese Notwendigkeit ist eine direkte Reaktion auf die Erfahrungen, die die europäischen Länder mit dem Gas aus Russland gemacht haben. Die Zeiten, in denen man sich auf unsichere Quellen verlässt, scheinen vorbei zu sein, und stattdessen rückt Argentinien in den Fokus – ein Land, das nicht nur reich an Energie ist, sondern auch bereit, sich als zuverlässiger Partner zu positionieren. Die Lehre ist klar, versichern die Experten: Nur wer klug wählt, kann die Energiesicherheit der Zukunft gewährleisten.

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Flavio CannillaVon

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