Buenos Aires / Hamburg / Berlín – Deutsche Risikokapitalgeber und Venture Capitalist (VC) beginnen die Innovation in Lateinamerika mit neuem Interesse zu beäugen. Regionale Einhörner wie Argentiniens MercadoLibre oder die inziwschen auch in Deutschland tätige Globant zusammen mit Brasiliens Nubank oder Chiles NotCo belegen warum. Allerdings, noch ist das Misstrauen vor dem Krisenszenario Lateinamerika groß. Ein Irrtum, sagt der Investor und CEO von YAKU Partners, Klaus Hübner. Gerade jetzt sollten deutsche VCs die Chance nutzen, um frühzeitig in der Region ihre claims abzustecken. Nicht nur wegen dem dringenden Bedarf an Innovation für den Standort Deutschland. Sondern gerade weil die Entrepreneure zwischen Rio Grande und Feuerland eines können: Krise, Neudenken und -vor allem- Neuanfang. Aber auch weil die Konkurrenz nicht schläft: viele der großen US-Fonds – wie Andreessen Horowitz, Sequoia Capital oder Lightspeed Venture Partners- sind heute schon in der Region vor Ort.
Gerade wegen eines Lebens zwischen Inflationszyklen, sozialem und politischen Extrem-Situationen konnten Unternehmen entstehen wie die größte Digitalbank der Welt (Nubank, Brasilien) entstehen, die weltweit größte digitale Vermarktungsplattform für Gebraucht- und Neuwagen (Kavak, Mexiko). Darunter fällt auch das erste Unternehmen, das Milch erfolgreich per Künstlicher Intelligenz ersetzt hat (NotCo, Chile) und heute seine Produkte auch in Supermärkten der USA vermarktet. Nicht zu vergessen das erste globale Sateliten-Unternehmen, dass mit Hilfe von Elon Musk Kleinsatelliten für Kunden zwischen USA, Europa und Asien in das All bringt (Satelogic, Argentinien). „Der lateinamerikanische Entrepreneur hat einen größeren Erfolgsdruck“, bringt es Hübner auf den Punkt.
Im Rahmen des 75. Lateinamerika-Tages ist das Thema VC und Kapitalgeber auch eines der Schlüssel-Themen. auf dem Seminar „Innovation Made in Latinamerica for Germany”. Argentinisches Tageblatt sprach im Vorfeld mit dem Deutsch-Chilenen, der zwischen Santiago, Madrid, Barcelona, New York und Berlin nicht nur die Do´s und Don´ts für einen erfolgreiche Investition in Lateinamerika predigt. Hübner ist als Co-Founder und Managing Partner des finance advisory Unternehmens YAKU Partners auch selbst als Investor unterwegs und weiß: “Gründer in Lateinamerika haben einen sehr viel höheren Erfolgsdruck als ihre Kollegen in Europa“.
Argentinisches Tageblatt: Warum sollte ein europäischer Investor Lateinamerika als Investitionsstandort betrachten und nicht als Reiseziel?
Klaus Hübner: Das lateinamerikanische Startup-Ökosystem entwickelt sich sehr stark. Unter anderem in Bereichen wie E-Commerce, Einzelhandelslösungen, Software, Fintech, Biotechnologie. Wir haben es hier mit einem Umfeld zu tun, das erfolgreich ist und heute bereits eng mit den Vereinigten Staaten verbunden ist, in Europa aber noch weitgehend unbekannt ist. Außerdem bietet diese Region ein interessantes Investitionspotenzial auch auf der Seite der Nutzer oder Kunden, denn Lateinamerika und die Karibik haben 670 Millionen Einwohner. Diese alle haben einen sehr viel höheren Bedarf an Wirtschaftswachstum als in Europa. Das verspricht eine größere Dynamik, das beinhaltet auch alles was finanzielle Inklusion ausmacht. Auf der anderen Seite gibt es auch weniger Regulierung, die eine Skalierung von Lösungen erleichtert. Und das nicht nur im Fintech-Bereich sondern auch bei Software im Allgemeinen und sowohl im B2C- als auch im B2B-Bereich. Es gibt also ein sehr interessantes Potenzial für einen europäischen Investor. Vor allem was im Deep-Tech-Umfeld in Lateinamerika entwickelt wird. Da sprechen wir über Lösungen, die oft nicht nur Soft-, sondern auch Hardware-Entwicklung beinhalten und – was noch wichtiger ist – die darauf abzielen, globale Probleme zu lösen
Zum Beispiel?
Alles, was mit Biotechnologie zu tun hat; Klimawandel, Energieeffizienz, zum Beispiel. All das sind die großen Probleme, vor denen die Menschheit steht. All diese Probleme sind vor allem in Europa und speziell in Deutschland von großer Bedeutung. In Lateinamerika sind sie nicht nur sehr relevant, sondern Teil des täglichen Lebens. Deshalb ist dieser Markt für Lösungen sowohl in Argentinien als auch in Chile sehr wichtig. Und auch, weil diese Länder eine hervorragende akademische Basis haben. Das ist etwas, das in Europa unbekannt ist. Hinzu kommt eine unternehmerische Kapazität von großer Vielfalt, Exzellenz und Widerstandsfähigkeit. Ein Beispiel: Ein lateinamerikanischer, argentinischer Gründer erreicht mit wenigen Mitteln sehr viel. Nicht, weil sie brillant sind, sondern weil sie keine Alternative haben. Mit anderen Worten: Dort ist man nicht an der Universität, und wenn es nicht klappt, suchst man sich etwas anderes. Die Gründer sind nahezu dazu verdammt, gut zu sein. Denn wenn es nicht klappt, müssen sie wieder von vorne anfangen. Deshalb engagieren sich dort Gründer und Gründerinnen so sehr für das, was sie entwickeln. Sie haben einfach einen sehr viel größeren Erfolgsdruck als vielleicht Europäer. Gleichzeitig wissen sie aufgrund der Situation ihrer Volkswirtschaften oder Märkte, dass sie gezwungen sind, über ihren eigenen Markt hinauszugehen und von der ersten Minute an darüber nachzudenken wie sie nicht nur regional sondern global tätig sein wollen. Das beste Beispiel ist Globant, ein Unternehmen, das heute auf der ganzen Welt tätig ist und sich weiterentwickelt. Auch sie haben ihren Sitz in Berlin. Ihr Motto war vom ersten Tag an: Wir verkaufen Software in die Welt.
Im Vergleich zu den US-Investoren scheint der europäische Risikokapitalgeber den Lateinamerikanischen Markt trotzdem kaum bis gar nicht wahrzunehmen. Welches ist die größte Bremse, die sich in den Köpfen der deutschen VCs lösen muss, damit sie Lateinamerika in den Fokus bringen?
Zum einen ist es eine Frage der Unternehmensstruktur, dass hiesige Fondsinvestoren nur in Start-ups investieren, die ihren Sitz in Europa haben. In einigen Fällen auch in den USA oder Israel. Außerdem herrscht in Deutschland immer noch die Meinung vor, dass Deutschland ein Technologielieferant und Lateinamerika ein Rohstofflieferant ist. Aber nur wenige sehen Biomaterialien, die in Argentinien entwickelt werden, oder Cybersicherheitslösungen aus Chile, die alle in Europa anwendbar sind. Das müssen wir ändern, denn es gibt bereits andere, die das Feld besetzen, wie zum Beispiel die US-Amerikaner.
Nun ist aber deshalb auch der Blick der lateinamerikanischen Gründerszene heute sehr viel stärker auf die USA ausgerichtet, wenn es darum geht Kapital für ein Start-up oder auch nur für ein Geschäftsmodell zu suchen. Zudem, viele der regionalen Fonds und VCs -wie zum Beispiel Kaszek Ventures, Monashees+, Bossa Invest oder Latitud Ventures- arbeiten auch eher mit us-amerikanischen Partnern, denn europäischen. Die Landung des German Accelerator (GA) im November 2023 war da eine wohltuende Ausnahme. Vor dem Hintergrund: Warum sollte ein Gründer aus Buenos Aires, Quito, Santiago oder Bogotá die Mühe machen, nach Deutschland zu gehen, das eine Kultur und Sprache, die ihm sicher fremder als die amerikanische? Wie läßt sich diese Beretischaft wecken?
Es gibt mehrere Gründe. Eines der Wichtigsten ist, dass Lateinamerikaner hier die Chance haben, sich langfristig in die europäische Wertschöpfungskette zu integrieren; sie zu ergänzen. Gerade im Bereich Global Climate Tech, New Materials, Biotech oder auch Health Tech, ist Europa aus mehreren Gründen ein extrem interessanter Markt. Erstens werden diese Lösungen in Europa dringend benötigt und deshalb gibt es viele Investitionen, sowohl öffentliche als auch private, die sich per Private Equity oder Public Equity gerade auf diese Art von jungen Unternehmen konzentrieren. Ein lateinamerikanischer Gründer hat in Europa ein sehr großes Potenzial, Investoren zu finden. Zweitens und vielleicht noch viel wichtiger: die Struktur des europäischen und vor allem des deutschen Risikokapitals weist eine ganz besondere Komponente auf, die es diametral von dem der uVereinigten Staaten unterscheidet. Es gibt hier ein viel größeres Verständnis der Zusammenarbeit und der Investition in eine Start-up aus einer langfristigen Perspektive heraus. Die Struktur des europäischen Risikokapitals ist größtenteils von Unternehmen und Fonds geprägt, die aus Industriellenfamilien stammen und die Langfristigkeit in ihrer DNA haben.
Die Brille des Mittelstandes?
Genau, hier sind Investoren viel häufiger Fam,ilienunternehmen, die ein großes Interesse und eine Tradition haben, in Lösungen zu investieren, die einen Beitrag zum Unternehmen leisten und langfristig ausgerichtet sind. Sie sind nicht auf schnelle Rentabilität aus, wie es in den Vereinigten Staaten oft der Fall ist und der dann den entsprechenden Druck auf die Gründer ausübt. Außerdem bringen diese Familienunternehmen, die oft aus der Industrie kommen, den Vorteil mit, dass sie wissen, dass alle Lösungen sowohl von der Software als auch von der Hardware abhängen und mit dieser Vision einhergehen muß. Das will natürlich nicht heißen, daß deutsche Investoren nicht auf die Bilanz und die Rentabilität schauen; ganz im Gegenteil (lächelt). Aber sie schauen darauf aus einer Sicht der Nachhaltigkeit und des Mehrwerts, die ein Projekt, eine Unternehmung, langfristig mitbringen müssen, um von Interesse zu sein. Und dann sind sie auch bereit, das Projekt langfristig zu begleiten.
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