Hitzewellen. Überschwemmungen, Lawinen, Starkregen und Dürren: Die Auswirkungen und Folgen des Klimawandels sind in den letzten Jahren deutlicher denn je geworden. Überschwemmungen in Brasilien, extreme Hitzewellen in Indien, Hungersnöte in Ostafrika. Gleichzeitig leiden Europa und Nordafrika unter einer historischen Dürre, Flüsse trocknen aus, viele Länder haben den Notstand ausgerufen. Dringender Handlungsbedarf.
Die Klimakrise kennt keine Grenzen – sie betrifft sowohl den globalen Norden als auch den Süden. Doch wie nehmen wir diese Veränderungen wahr, und wie reagieren wir darauf? Welche Lösungen sind bereits in Sicht, und welche Maßnahmen müssen dringend ergriffen werden, um die Erderwärmung zu stoppen? In unserer Serie “Logbuch des Klimawandels” beleuchten wir in vier Artikeln die Auswirkungen der Klimakrise in Lateinamerika und Deutschland. Dabei lassen wir die Stimmen derjenigen zu Wort kommen, die von den Folgen persönlich betroffen sind, um ihre Perspektiven und Erfahrungen in den Mittelpunkt zu rücken.
„Logbuch des Klimawandels“ (Bitácora del cambio climático) ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Goethe-Institut Buenos Aires und dem Argentinischen Tageblatt, um unsere Gegenwart zu analysieren und einen Blick auf die Zukunft zu werfen. In dieser Ausgabe: Wie sich die Mobilität zwischen Bahn und Straße neu denken läßt.
Von Esteban Engel*
Buenos Aires, Argentina – Nach sieben Kilometern gibt es einen Cappuccino, für 50 Kilometer einen Gutschein im Wert von 20€ und für 75 Kilometer ein Kinoticket. Mit solchen Aktionen locken die Deutsche Bahn und lokale Geschäfte sowie Kultur- und Gaststätten Radfahrer dazu, ihr Auto stehen zu lassen und in die Pedale zu treten. Über die App DB Rad+ können Nutzer mit GPS-Hilfe Kilometer sammeln und diese gegen Waren oder Rabatte eintauschen – oder sie als Spende für soziale oder ökologische Projekte einsetzen. Zudem liefern die anonymisierten Daten aus der App den Gemeinden wertvolle Hinweise für den Ausbau der Radinfrastruktur und die Verkehrsplanung.
Mit der Verknüpfung von Fahrrad und Bahn möchte das Staatsunternehmen der klimafreundlichen Mobilität in Stadt und Land neuen Schwung verleihen. „Das darf sich auch für die Radfahrenden lohnen“, betont eine Bahnsprecherin. Doch die Verbindung von Klimaschutz und Verkehr ist in der Praxis oft weitaus komplexer. Deutschland diskutiert intensiv darüber, wie sich Mobilität und Nachhaltigkeit vereinbaren lassen. Diese Debatte führte auch dazu, dass die Ampelkoalition aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) unter anderem an der Frage scheiterte, wie viel Geld für die ökologische Transformation der Industriegesellschaft – und damit auch für eine nachhaltige Verkehrspolitik – aufgebracht werden soll.
Während Aktionen wie die radfreundliche Initiative der Bahn vermitteln sollen, dass jeder einen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann, bleibt ein entschlossenes Handeln auf höchster Ebene unabdingbar. Der Verkehr ist für fast 20% der Treibhausgasemissionen in Deutschland verantwortlich, hauptsächlich durch benzin- und dieselbetriebene Fahrzeuge. Bisher ist der Verkehrssektor der einzige Bereich, der seine CO₂-Emissionen nicht signifikant senken konnte. Selbst im Corona-Jahr 2021, als die Emissionen vorübergehend zurückgingen, kehrten sie nach Ende der Einschränkungen schnell wieder auf das ursprüngliche Niveau zurück.
Für Aufsehen sorgte das Deutschlandticket, das nach der Pandemie eingeführt wurde. Es ermöglicht für aktuell 49€ im Monat (ab Januar voraussichtlich 58€) unbegrenzte Fahrten mit Regionalzügen und anderen öffentlichen Verkehrsmitteln. Rund 13 Millionen Menschen nutzen das Angebot, das vor allem Pendler ermutigen soll, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen. Doch in ländlichen Regionen, wo das öffentliche Verkehrsnetz oft ausgedünnt ist, findet das Ticket wenig Anklang.
Ein weiterer geplanter Impuls, der Kauf von E-Autos durch Subventionen, wurde durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestoppt, das außerplanmäßige Staatsausgaben untersagte. Ursprünglich sollten Käufer von Neuwagen unter 45.000€ ab 2024 einen staatlichen Zuschuss von 3.000€ erhalten, ergänzt durch 1.500€ von den Herstellern. Wirtschaftsexperte Peter Bofinger kritisiert: „Mit dem Wegfall der Förderung verteuert die Bundesregierung nicht nur den Kauf von Elektroautos, sie schadet auch der heimischen Automobilindustrie – insbesondere Volkswagen, das ohnehin mit dem Übergang zur Elektromobilität zu kämpfen hat.“
Dennoch scheint die E-Mobilität unvermeidlich: Ab 2035 dürfen in der EU keine neuen Pkw mit fossilen Brennstoffen mehr zugelassen werden. Eine Ausnahme gibt es lediglich für sogenannte E-Fuels – synthetische Kraftstoffe, die mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt werden.
Veränderungen zeichnen sich vor allem im Verhalten der Menschen ab. In Städten genießt das Auto bei jungen Generationen nicht mehr den Status, den es einst hatte. Freiheit und Abenteuer werden zunehmend mit Alternativen wie Carsharing verbunden, bei denen Fahrzeuge flexibel und digital gebucht werden können. Das Auto wird damit vom Prestigeobjekt zum reinen Nutzgegenstand, der ähnlich wie Filme und Musik über Streaming-Dienste konsumiert wird, ohne es zu besitzen.
Ob sich dadurch langfristig der Verkehr ökologisch umgestalten lässt, bleibt abzuwarten. Die Herausforderungen sind groß. Aktuell sitzen in Deutschland durchschnittlich 1,4 Personen in einem Auto. Würde man sie auf 2,8 verdoppeln, könnte die Zahl der Fahrzeuge auf den Straßen halbiert werden. Aktionen wie die Fahrrad-App der Bahn zeigen jedoch, dass Fortschritte – auch wenn klein – möglich sind: In Berlin wurden über die App innerhalb eines Jahres zehn Millionen Fahrradkilometer zurückgelegt – das entspricht knapp 250 Erdumrundungen.
*Esteban Engel ist ein deutsch-argentinischer Journalist. Er hat für die die Deutsche Presse-Agentur (dpa) gearbeitet und war Korrespondent in Venezuela, Brasilien und Berlin.
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