06. 11. 2024

Buenos Aires / Hamburg (AT)Orlando Baquero steht unter Strom. Seine Antworten kommen in kurzen Sätzen durchs Telephon. An diesem Dienstag Vormittag ist der Adrenalinpegel beim Geschäftsführer des Lateinamerika Vereines auch aus der Ferne spürbar: In wenigen Stunden startet der Lateinamerika Tag 2024. Es ist das Event des Jahres des Lateinamerika Vereines, das Baquero als Hauptgeschäftsführer seit vier Jahren leitet. Auf dem Lateinamerika-Tag treffen sich ununterbrochen seit 1945 Unternehmer, Politiker, Interessensvertreter aber auch Diplomaten und Lobbyisten aus der Region, den USA und Europa, um über ein Thema zu sprechen: Lateinamerika. Über seine Krisen und Potenzial doch immer häufiger auch über sein Wachstum und die Investitionschancen.

In diesem Jahr 2024 ist die Erwartung um so höher. Das von Hamburger und Bremer Kaufleuten im Jahre 1916 an der Elbe gegründete Verein feiert zwischen dem 5. und 7. November die 75. Ausgabe des „Lateinamerika-Tages“. Die Teilnehmerzahl ist so hoch wie seit Jahren nicht mehr: rund 350 Anmeldungen aus 22 Ländern zählen die Veranstalter kurz vor dem Öffnen der Türen der ehrwürdigen Hamburger Handelskammer zwischen Rathaus und Börse. Dass Baquero da ein wenig schneller atmet als sonst ist verständlich.

Im Interview mit dem Argentinischen Tageblatt erläutert der Chef des Lateinamerika Vereins warum das Treffen nicht nur wegen den Wahlen in den USA etwas anderes ist als sonst und was das alles mit einem Land wie Argentinien zu tun hat.

Argentinisches Tageblatt: Der Schwerpunkt liegt dieses Jahr auf Finanzen & Banken, am ersten Tag des Haupt-Programms, und Logistik, am zweiten Tag. Warum diese beiden Themenachsen?

Orlando Baquero:  Wir müssen heute eine Transformation der Wirtschaft auf vielen Ebenen vollziehen: eine industrielle Transformation sowie den Wechsel zu einer nachhaltigeren und sozialeren Wirtschaft. Dieser Weg erfordert viel größere finanzielle Anstrengungen. In einem unsicheren wirtschaftlichen Umfeld wie dem heutigen ist die Finanzierung entscheidend. Doch gleichzeitig sind auch die Anforderungen für eben diese Finanzierungsleistungen an die Unternehmer gestiegen. Deshalb haben wir einen Fokus auf das Tandem Finanzierung und Entwicklungsbanken gelegt. Denn: eine Entwicklungsbank gibt zwar keine niedrigeren Zinsen als eine Privatbank. Aber sie vermittelt Unterstützung, Reichweite, ein gewisses politisches Gewicht, das bei der Suche nach Investitionen, wie es ein Projket in Lateinamerika nun einmal erfordert, helfen kann. Denn wir müssen immer im Auge behalten, das die Konkurrenz in der Region nicht schläft. Insbesondere Investoren aus China werben für sich in der Regel mit Komplettpaketen, die eine Finanzierung gleich mitbringen. Die Zusammenarbeit mit Kooperationsbanken kann den Nachteil mildern, den solchen Praktiken europäischen Investoren auferlegen.

Und warum Logistik?

In letzter Zeit zeigten sowohl der Panamakanal aufgrund von Wassermangel durch das El-Niño-Phänomen Probleme als auch der Suezkanal aufgrund geopolitischer Konflikte. Hinzu kommt das Häfen überall in der Region privatisiert, Konzessionen neu verhandelt werden. Auch hier steigt der Druck aus Aisen und asiatischer Investoren, die sich in Häfen in Lateinamerika und in Europa engagieren. Deshalb wollen wir das Thema Transport und Logisitik anhand von Beispielen wie dem neuen Hafen von Chancay in Peru analysieren und diskutieren. Es ist ein gutes Beispiel wie sehr dieses Engagement nicht nur die Seewege zwischen Lateinamerika, dem Pazifik und Asien verändern wird (Anm. d. Red.: Der Hafen von Chancay ist 70 km nördlich von Lima gelegen und gilt als eines der symbolträchtigsten Projekte der chinesischen Präsenz in Lateinamerika. Hauptinvestor ist COSCO Shipping Ports Limited mit mehr als US$ 3 Milliarden).

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Orlando Baquero (Foto: LAV)

Lateinamerika steht heute mehr im Rampenlicht als noch vor einem Jahr. Welche Verbesserungen gab es in den letzten 12 Monaten, die heute den Unterschied für deutsche Investoren und Unternehmer ausmachen?

In der Tat sehen wir, dass sich große Konzerne aber auch mittelständische Unternehmen, die keine riesigen Marktforschungsteams haben, stärker in der Region engagieren, sie mit anderen Augen betrachten. Gleichzeitig hat die politische Unterstützung zugenommen: immer mehr deutsche und europäische Politiker besuchen die Region. All das zu einer Zeit, in der es andere Prioritäten gibt, vor allem in Europa, Deutschland, Asien den USA. Doch die Zahlen belegen, dass die deutschsprachige Wirtschaft, mit wenigen Ausnahmen, immer stärker nach Lateinamerika schaut. Die Region hat bewiesen, dass sie über mehr oder weniger robuste Demokratien verfügt. Sie hat gezeigt, dass politische Übergänge nicht so abrupte Sprünge wie früher mit sich bringen und so die unternehmrische Planung erleichtern. Ein Beispiel: Die Inflationswelle, die Europa heimgesucht hat, hat auch Lateinamerika erfasst, doch längst nicht hart. Das vermittelt Lateinamerika eine Art von Stabilität.

Einer der Märkte, der im letzten Jahr mit am meisten für Nachrichten gesorgt ist Argentinien. Beim Lateinamerika-Tag 2024 stellt Argentinien auch die umfangreichste Delegation. Welche Stärken sehen deutsche Geschäftsleute in Argentinien heute? Und welche Schwächen bereiten noch Sorgen?

Die deutsch-argentinischen Beziehungen fußen auf starken Traditionen. Für diejenigen, die schon immer dort waren, sind die Geschäfte meist gut gelaufen. Aber für alle anderen war Argentinien in seiner jüngeren Geschichte immer eine Herausforderung: Inflation, Abwertungen, komplizierte Bürokratie, politische Umwälzungen. Das hat sich geändert. Und obwohl die Investitionen noch nicht so richtig in Schwung gekommen sind, ist das Interesse viel stärker. Es gibt eine neue Regierung, die die Dinge anders machen will und es bisher auch geschafft hat; sie verändert hat. Bleibt abzuwarten, was im Detail am Ende dabei herauskommt.

Wo drückt noch der Schuh? Was macht weiter Sorgen beim Blick auf Argentinien als Investititonsstandort?

Wir leben in Deutschland in einer Demokratie, die sich dem Modell einer Sozialen Markwirtschaft verschrieben hat. Das Modell, das Javier Milei derzeit umsetzt, ist ein ziemlich klares Modell einer reinen Marktwirtschaft. Die Investoren und die Wirtschaft verstehen das und begrüßen es bis zu einem gewissen Grad. Aber alle sind sich bewusst, dass es nicht einfach ist. Und auch wenn es gut funktionieren mag -und es wäre ideal, wenn es so wäre – hat die Erfahrung gezeigt, dass es auch anders kommen kann. Tatsache ist, dass die Ziele dieser Regierung ein gutes Bild abgeben, bisher. Doch auch (Mauricio) Macri (Anm.d.Red.: Der Unternehmer Mauricio Macri war Staatspräsident von Argentinien zwischen 2015 – 2019) vor ein paar Jahren, hatte Hoffnungen und Erwartungen geweckt. Doch am Ende kamen die Investitionen nicht in Fahrt trotz des Interesses. Der Grund: man hat schnell gemerkt, dass die Dinge nicht so liefen, wie sie sollten. Heute sehen wir wieder viele positive Indikatoren. Doch auch noch einige Risiken.

Welche sind die größten Risiken?

Vor allem die soziale Frage und ob die Bevölkerung die Folgen der Umwälzungen tragen kann. Denn damit das Ganze in Gang kommt, müssen die Investitionen steigen und damit auch die Beschäftigung. Das heißt, die Wirtschaft muß wachsen, Arbetisplätze schaffen. Wenn Investitionen und Arbeitsplätze ausbleiben, wird es sehr schwierig sein, ein funktionierendes Sozialsystem aufrechtzuerhalten.

Zum Abschluß eine Frage aus der Zukunft: Welche Veränderungen können diese US-Wahlen für die lateinamerikanische Region mit sich bringen?

Eine schwierige Frage. Doch egal wer gewinnt, eines ist jetzt schon klar: es kommt ein Wechsel. In jedem Fall sehen wir, dass die Investitionen deutscher Unternehmen in den Vereinigten Staaten wachsen. Und das, weil es ein gutes Geschäft ist. Denn niemand investiert aus politischen Gründen, sondern weil es ein gutes Geschäft ist. Gleichzeitig gibt das aber auch eine gewisse Sicherheit, dass es im Falle neuer protektionistischer Maßnahmen die europäischen und deutschen Unternehmen weniger trifft. Sollte es tatsächlich dazu kommen -und alles deutet darauf hin- dann sind die detuschen und europäischen Unternehmen bereits auf dem Markt. Es ist heute schwer zu sagen, welche der beiden Seiten protektionistischer ist. Das sieht man an Trumps Äußerungen zum Thema Auto. Doch auch Biden hat es nicht unbedingt leichter gemacht. Also, wir müssen uns auf ein gewisses Maß an Protektionismus in den Vereinigten Staaten einstellen.

Orlando Baquero, vielen Dank für das Gespräch.

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