15. 02. 2024

Berlín / München – Der Fall der Berliner Mauer – deren Bau mit der ersten Ausgabe der Münchner Sicherheitskonferenz zusammenfällt – eröffnet eine dynamische Phase in der Bildung und Debatte eines interdependenten Netzes globaler Wertschöpfungsketten. Dieses ist heute durch die internationale Geopolitik bedroht. Die Aufeinanderfolge und die Vielzahl der derzeitigen Krisen definieren eine Szene der Unsicherheit und des Mangels an Gewissheit, angesichts derer Länder und Blöcke Maßnahmen zur Suche nach Autonomie, Autarkie, Widerstandsfähigkeit und zur Stärkung ihrer inneren Sicherheit ergreifen müssen, auch Argentinien. Begriffe wie “Friendshoring“, “De-Risking” und “Self-Reliance” sind in Mode gekommen. Doch alle sind mit Kosten verbunden, die den freien Kapital- und Warenfluss behindern und bedrohen.

Die Folgen der Fragmentierung

Und während wir uns darauf konzentrierten, eine Terminologie zu entwickeln, um einen allgemeinen Rahmen der “Polykrise” und des “geopolitischen Risikos” für die Weltordnung zu beschreiben, überrascht uns die Zeitschrift Foreign Policy in ihrer jüngsten Ausgabe mit einem Beitrag von Gita Gopinath, der stellvertretenden geschäftsführenden Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Gopinath analysiert dort die Folgen von Handelsbeschränkungen in Bezug auf die Effizienzgewinne durch Spezialisierung, die Begrenzung von Größenvorteilen und ihre Auswirkungen auf die Verringerung des Wettbewerbs. Die Fähigkeit des Handels, Anreize für eine Umverteilung innerhalb der Industrie zu schaffen und Produktivitätsgewinne zu generieren, wird abgewürgt, so die IWF Direktorin. Weniger Handel bedeutet auch weniger Wissensaustausch – ein Hauptvorteil der Integration-, die durch die Fragmentierung von grenzüberschreitenden Direktinvestitionen verringert werden dürfte.

Gerade der Begriff “Fragmentierung”, den Gopinath sowohl auf die Wirtschaft und den Handel als auch auf die Politik und das internationale System anwendet, führt in einer durch die jahrzehntelange Globalisierung integrierten und voneinander abhängigen Welt zu einem gigantischen Effizienz- und damit Wachstumsverlust. Dieser verschärft die Herausforderungen einer krisengeschüttelten Welt. In diesem Szenario findet vom 16. bis 18. Februar die Münchner Sicherheitskonferenz statt, ein strategischer Dialog, der mit dem Bau der Berliner Mauer seinen Anfang nahm und der Argentinien einlädt zu einer Synergie zur Stärkung der internationalen Governance beizutragen. An der diesjährigen Sicherheitskonferenz -der 60.- werden 50 Regierungschefs und mehr als 100 Außenminister teilnehmen.

Townhall Meeting, Conferencia de Seguridad de Múnich, 2023
Reunión de trabajo sobre el futuro y la seguridad de los alimentos en un mundo fragmentado en la Conferencia de Seguridad de Múnich de 2023 (Foto: MSC).

Der Welthandel macht heute 60% des globalen Bruttosozialprodukts aus, während es zu Zeiten des Kalten Krieges nur 24% waren. Dadurch hat sich die Größe der Weltwirtschaft verdreifacht und fast 1,5 Milliarden Menschen aus der extremen Armut befreit. Die Volkswirtschaften haben sich in den globalen Markt integriert, die globalen Wertschöpfungsketten sind komplexer geworden. Ein Kalter Krieg 2.0 würde in wirtschaftlicher Hinsicht einen Rückschritt für diese Fortschritte bedeuten: eine Periode geringen Wachstums würde uns verarmen lassen, Probleme für den Zugang zu internationalen Finanzierungsalternativen verallgemeinern und ein neue Schuldenkrise auslösen, die sich insbesondere auf Länder mit mittlerem Einkommen auswirken dürfte.

Argentinien und die Chance der Fragmentierung

Fragmentierung ist ein Begriff, der die Entwicklung der Münchner Konferenz bestimmen dürfte. Der Grund: Fragmentierung ist das Haupthindernis bei der Bewältigung globaler Herausforderungen, die eine internationale Zusammenarbeit erfordern. Ein Beispiel: die industrielle Dekarbonisierung und die Digitalisierung, die um die Dimension der künstlichen Intelligenz erweitern dürfte.

Heuet erleben wir diese Fragmentierung bereits beim Zugang zu kritischen Mineralien – wie Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium – und deren Auswirkungen auf die steigenden Kosten der Energiewende. Da diese Mineralien geografisch konzentriert und nicht leicht austauschbar sind, führt die Unterbrechung ihrer Handelsketten zu starken Preisschwankungen, die wiederum Investitionen in erneuerbare Energien und in die Produktion kritischer Inputs für die Digitalisierung im Allgemeinen und für die Elektromobilität im Einzelnen unterdrücken.

Argentinien findet in der Fragmentierung eine Gelegenheit, sich auf der Bühne der Münchner Sicherheitskonferenz als Partner zu empfehlen. Der Leser könnte sich zu Recht fragen, warum das so ist, oder was es bedeutet, diese und andere Debatten strategischer Natur zu integrieren. Argentinien tut dies, weil es angesichts einer Vielzahl von Herausforderungen in einem polykritischen Szenario (um zu den beliebten Begriffen zurückzukehren) unerlässlich ist, Teil einer erneuerten und konstruktiven Dynamik zwischen führenden Persönlichkeiten, Unternehmen und internationalen Organisationen zu sein. Merh denn je ist es heute entscheidend, sich in einer Debatte zu engagieren, die alle Aspekte des internationalen Systems und der Governance anspricht.

Argentinien weiß, wie wichtig es ist, vertrauensvolle und verläßliche Beziehungen aufzubauen und seine traditionellen (und neuen) Partnerschaften zu vertiefen, mit dem Ziel, den eigenen und langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung voranzutreiben. Das ist nicht neu für unser Land: Argentinien entstand und entwickelte sich aufgrund der intenationalen Integration -und nicht aus der Fragmentierung- von Wertschöpfungsketten.

Kamela Harris, Conferencia de Seguridad de Múnich de 2023
La vicepresidenta de EEUU, Kamela Harris, en la Conferencia de Seguridad de Múnich de 2023 (Foto: MSC).

In München stellt sich Argentinien der systemischen Herausforderung, in einem fragmentierten Szenario zur Erhöhung der Sicherheit beizutragen. Das tut es als verläßlicher Partner, der sich für die Integration von Wertschöpfungsketten einsetzt und sich verpflichtet seine Activa – kritische Mineralien, Nahrungsmittel und Wissen – im Rahmen eines sicheren, zuverlässigen und nachhaltigen Wettebwerbs auf dem Weltmarkt einzusetzen.

Einer der eindeutigsten Beweise ist Argentiniens Entschlossenheit, sich in die globale Wertschöpfungskette der Energiewende zu integrieren. Im Gegensatz zu Volkswirtschaften, die den Zugang zu kritischen Mineralien verstaatlicht oder reguliert haben, ist Argentinien – mit einer Erfolgsbilanz im Bergbaubereich mit internationalen Kapitalgesellschaften – entschlossen, seine Leistung durch eine neue Generation von Investitionen in Lithium und Kupfer zu vervielfachen, mit freien Zugangsregelungen und Rechtssicherheit gemäß den OECD-Standards, einer Organisation, der Argentinien gerade beitritt.

Unsere Ressourcen aber auch unser know kow positionieren uns unter den Hauptakteuren eines Marktes, der heute strategisch auf die Diversifizierung der Lieferanten setzt und eine Plattform darstellt, um eine neue Ära der Wertschöpfung zu schaffen, die eine reale Auswirkung auf die Lebensqualität unserer Bevölkerung, und damit eine Wachstumsphase als unabdingbare Voraussetzung für die Überwindung der Schuldenlast hervorbringen kann.

Der Wert internationaler Partnerschaften: die Bedeutung Deutschlands

Internationale Partnerschaften werden der Schlüssel sein, um das volle Potenzial dieser Eingliederung in neue (und nicht so neue) Wertschöpfungsketten zu artikulieren und freizusetzen. Im Falle unseres Landes sind Instrumente erforderlich, um die finanzielle Lücke zu schließen, die die Verwirklichung von Projekten behindert. Wenn wir nur an den Bergbau denken, zeigen Schätzungen, dass wir bis 2030 von einem Exportvolumen von 4 Mrd. USD auf ein Szenario von 15 Mrd. USD kommen könnten, wenn wir gegen die Uhr arbeiten, um die Pipeline von Lithium- und Kupferprojekten im fortgeschrittenen Stadium zu vervollständigen, solange wir uns für die Integration in internationale Wertschöpfungsketten entscheiden.

Die Rolle unserer strategischen Partner, und vor allem Deutschland, ist von entscheidender Bedeutung. Die Synergie zwischen den Partnern wird der Schlüssel sein, um Mittel und Investitionen zu mobilisieren, die einen Multiplikatoreffekt haben, um die Energiewende und die industrielle Dekarbonisierung zu ermöglichen. Argentinien verfügt über das, was die Welt – und in diesem Fall Deutschland und weitgehend auch die EU – braucht, um kritische Wertschöpfungsketten, die für das Überleben seiner industriellen Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sind, neu zu artikulieren. Deutschland ist bestens mit den Begriffen Wertschöpfung und Technologietransfer vertraut.

Conferencia de Seguridad de Munich, plenario
La Conferencia de Seguridad de Munich se congrega en febrero en la capital de Bavaria y reúne a líderes y representantes de más de 50 gobiernos (Foto: MSC).

Internationale Foren, darunter das der Münchner Sicherheitskonferenz, haben einen gemeinsamen Nenner: die Integration unserer Kapazitäten in einer fragmentierten Welt mit dem Ziel, eine neue Integration von Wertschöpfungsketten zu fördern, die derzeit vom geopolitischen Schreckgespenst bedroht sind.

Argentinien hat in München die Möglichkeit, das -einmal mehr- als systemisches Bindeglied zu tun und zwar mit Aktiva, die heute einen neuen Wert erhalten, um für und für eine nachhaltige Vorhersehbarkeit und Risikominderung auf dem Weltmarkt sorgen zu können. Nicht mehr und nicht weniger: Argentinien, unser Land, als Akteur und solides Bestandteil einer Wertschöpfungskette, die heute mehr denn je Verlässlichkeit erfordert, um neue Netze der Interdependenz, Sicherheit und Wertschöpfung in der Zukunft zu verankern.

*Fernando Brun, ist seit Oktober 2022 Botschafter der Republik Argentinien in Deutschland

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