26. 03. 2024

Buenos Aires (AT) – Mit dem Smartphone per QR-Code bezahlen, einem Freund mal eben Geld überweisen oder Privatkredite aufnehmen. Digitale Finanzdienstleistungen, die über Computer, Smartphone und Internet erfolgen, sind in Argentinien wie auch im Rest der Welt längst Alltag. Allerdings, im Vergleich zu anderen Regionen, gilt die digitale Finanzinnovation am Ende der Welt als führend. Grund ist eine Nachfrage, die bis vor einigen Jahren keinen Zugang zum traditionellen Finanzmarkt und seinen wichtigsten Dienstleistern -sprich Banken und Versicherungen- finden konnte. Verbraucher mit niedrigen Einkommen konnten bis dato etwa die Auflagen und Konditionen eines traditionellen Bankkontos kaum erfüllen, geschweige denn die für einen Kredit notwendige Bonität nachweisen. Mitte der 2000 Jahre begann in Argentinien -wie auch im Rest Lateinamerikas-, die Fintech-Szene das Bild zu ändern.

Heute sind über 12.000 Fintech-Unternehmen und start-ups zwischen Nord- und Südamerika aktiv. Rund 2.300 allein in Lateinamerika, wie Statista meldet. Darunter sind Unternehmen, die inzwischen auch international als Vorbilder gelten.

Ein Beispiel ist Nubank. Das 2016 in Sao Paolo, Brasilien, von David Vélez, Cristina Junqueira, Eward Wible gegründete Unternehmen gilt als größte Digitalbank der Welt. Ende 2022, zählte Nubank 74 Millionen Kunden; ein Jahr später waren es 90 Millionen user. Weitere Namen sind MercadoPago, das Zahlungssytem das MercadoLibre, Lateinamerikas größtem e-commerce, im Jahre 2003 auf den Markt brachte. Nach eigenen Angaben des in Buenos Aires gegründetem Unternehmens nutzen pro Quartal mehr als 45 Millionen Verbraucher seine Dienste. Ähnlich das Bild bei Ualá, einer digital wallet, das mittels virtueller Debit-Card und Apps, digitale Finanztransaktionen ermöglicht. Das 2017 von Entrepreneur Pierpaolo Barbieri gegründete Unternehmen beschäftigt heute 1.500 Mitarbeiter und bedient 6 Millionen Kunden in Argentinien, Méxiko und Kolumbien.

Mehr als 380 Millionen Kunden

Geht es um die Anzahl der gegründeten Fintech-Unternehmen in Lateinamerika, steht Argentinien -gleichauf mit Kolumbien- an dritter Stelle. Nach Angaben der Interamerikanischen Entiwcklungsbank (BID) führt Brasilien mit mehr als 30% der jährlich gegründeten Fintechs die Liste an. Mexiko steht an zweiter Stelle mit 20%. In jedem Fall: Tendenz steigend. Statista erwartet das 2025 mehr als 380 Millionen Menschen Fintech-Dienste in der Region nutzen werden.

Um eine Standorbestimmung in einem der innovativsten Wirtschaftssektoren der Region zu bekommen, hat das Argentinische Tageblatt mit Ignacio Plaza gesprochen. Mitbegründer und geschäftsführender Gesellschafter des Venture Capital Unternehmens Draper Cygnus VC, ist Plaza zudem Mitglied des Verwaltungsrats von ROFEX (derzeit MaTBAROFEX), Vorsitzender von Primary Ventures und Mitbegründer von Cygnus Capital und Primary Technologies.

Der gelernte Wirtschaftsingenieur hat mehr als 25 Jahren Erfahrung in der Fintech-Branche, den Kapitalmärkten und dem Risikokapitalsektor in Argentinien. Plaza ist Vorsitzender der argentinischen Fintech-Kammer.

Fintech ist die Spezialisierung auf Digitalisierung. (forbes.com.ar)

Argentinisches Tageblatt: Wie würden Sie den Begriff “Fintech” für jemanden definieren, der damit nicht vertraut ist?
Ignacio Plaza: Fintech ist eine Zusammensetzung aus den Worten “Finanzen” und “Technologie”. Es bezieht sich auf die Nutzung innovativer Technologien zur Entwicklung, Verbesserung und Bereitstellung von Finanzdienstleistungen und -produkten. Diese Lösungen umfassen mobile Apps für das Bank- und Anlagemanagement, digitale Zahlungsplattformen, Online-Kredite und vieles mehr. Das Wesentliche an Fintech ist der Fokus auf Zugänglichkeit, Effizienz und Personalisierung, wodurch Finanzdienstleistungen integrativer und auf die Bedürfnisse des modernen Verbrauchers zugeschnitten werden.

Welche Hauptbereiche oder Dienstleistungen umfasst die Fintech-Branche in Argentinien heute? Die Fintech-Branche in Argentinien ist breit gefächert und vielfältig. Sie deckt mehrere Bereiche ab und entwickelt vor allem Lösungen für Bevölkerungsgruppen, die ursprünglich keine Bankkunden waren. Einschließlich: Digitaler Zahlungsverkehr, Überweisungen und Super-Apps; Privatkredite, KMU und Crowdfunding; Blockchain-Technologie und Kryptowährungen; B2B-Infrastrukturanbieter; Kapitalmärkte und digitale Versicherungen. 

Wie würden Sie im argentinischen Kontext die Entwicklung und den aktuellen Stand des Fintech-Sektors beschreiben?
In Argentinien hat der Fintech-Sektor in den letzten zehn Jahren ein starkes Wachstum erlebt, angetrieben durch die hohe Internetverbreitung und den Bedarf an finanziellen Alternativen angesichts eines traditionell restriktiven Bankensystems. Dieser Boom spiegelt sich in der Diversifizierung der Dienstleistungen und der ständigen Innovation wider. Heute erreicht das argentinische Fintech-Ökosystem 70% der aktiven Bevölkerung und ist eines der dynamischsten in Lateinamerika, mit 340 Unternehmen, die 35.000 Menschen hochwertige Arbeitsplätze bieten und nicht nur lokale Bedürfnisse bedienen, sondern auch internationale Märkte erreichen. Trotz der wirtschaftlichen Herausforderungen des Landes hat sich der Sektor als widerstandsfähig und anpassungsfähig erwiesen.

Der Präsident der argentinischen Fintech-Kammer, Ignacio Plaza. (neuronaba.com.ar)

Welche Herausforderungen stellen sich dem Fintech-Ökosystem in Argentinien heute am meisten?
Die Herausforderungen sind vielfältig und umfassen die wirtschaftliche Volatilität, die sich auf die Stabilität und die langfristige Planung auswirkt; die Regulierung, die ein Gleichgewicht zwischen der Förderung der Innovation und dem Schutz der Verbraucher herstellen muss, und die Cybersicherheit, die in einem Umfeld, in dem Vertrauen von grundlegender Bedeutung ist. Darüber hinaus spielt die Finanzbildung eine entscheidende Rolle für die Akzeptanz dieser neuen Technologien in der Bevölkerung.

Was denken Sie angesichts Ihrer Erfahrung in diesem Sektor über die Zukunft der Fintech-Unternehmen in Argentinien in den kommenden Jahren? Wurden dadurch bestimmte Trends oder Veränderungen in der Arbeitsweise der Unternehmen beschleunigt?
Die Zukunft des Fintech-Sektors in Argentinien sieht vielversprechend aus, mit einem enormen Potenzial, weiter zu wachsen und die Finanzlandschaft zu verändern. Der Trend zur Digitalisierung und finanziellen Integration wird sich weiter beschleunigen, angetrieben durch technologische Innovationen und Veränderungen im Verbraucherverhalten. Die Fintech-Unternehmen werden weiter expandieren, nicht nur in Bezug auf die angebotenen Dienstleistungen, sondern auch in Bezug auf ihre geografische Reichweite. Die COVID-19-Pandemie hat die Akzeptanz digitaler Lösungen beschleunigt und den Sektor zu einem wichtigen Bestandteil der digitalen Wirtschaft gemacht. Wenn es der Regierung gelingt, die Inflation deutlich zu senken, erwarten wir ein angemessenes Kreditwachstum.

Welchen Rat würden Sie Unternehmern oder Unternehmen geben, die einen Einstieg in die Fintech-Welt in Argentinien planen?
Plaza: Ich rate ihnen, sich auf Innovation und die Lösung echter Nutzerprobleme zu konzentrieren. Es ist äußerst wichtig, die spezifischen Bedürfnisse des lokalen Marktes zu verstehen sowie flexibel und anpassungsfähig gegenüber regulatorischen Veränderungen zu bleiben. Zusammenarbeit und der Aufbau strategischer Allianzen können der Schlüssel zur Bewältigung von Herausforderungen und zur Beschleunigung des Wachstums sein. Darüber hinaus ist es unerlässlich, der Datensicherheit und dem Vertrauen der Nutzer von Anfang an Priorität zu geben, indem in robuste Cybersicherheitstechnologien investiert und die geltenden Vorschriften eingehalten werden. Und schließlich sollten Sie die Bedeutung der Finanzbildung nicht unterschätzen: Die Aufklärung Ihrer potenziellen Kunden über die Vorteile und Dienstleistungen erweitert nicht nur Ihren Markt, sondern trägt auch zur Entwicklung eines stärkeren und widerstandsfähigeren Fintech-Ökosystems bei. Der Weg zum Erfolg in der argentinischen Fintech-Branche erfordert Innovation, Durchhaltevermögen und ein starkes Engagement für die Verbesserung des Zugangs und der Qualität von Finanzdienstleistungen. 

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