31. 05. 2025

Von Julia Wobken (*)

Buenos Aires – Müsste ich mir heutzutage ein neues Leben aufbauen, wäre das nicht leicht. Ab einem gewissen Alter fällt es schwer, neue Freundschaften zu schließen. Als Kind oder Teenager findet man Freunde, in der Schule oder im Sportverein. Als Student an der Uni oder auf Reisen. Aber als berufstätiger Erwachsener? Noch dazu in einem fremden Land?

Als ich vor fast 15 Jahren zum ersten Mal nach Argentinien kam, konnte ich kaum Spanisch. Mein Notizbuch über das Land war leer, als ich in Tucumán aus dem Fernbus stieg. Ich wusste nichts über die offiziellen oder inoffiziellen Regeln, ich kannte weder die Geschichte des Landes, noch die Pop-culture. Musik, Filme, Serien, all das, was verbinden kann, war regional. Ich hatte noch nie etwas vom Chavo del 8 oder den Simuladores gehört. Ich hatte keine Ahnung von Folclore, Cumbia oder Quarteto. Ich wusste nichts von Soda Stereo, Charlie Garcia, Rata Blanca und hatte weder Borges noch Cortázar gelesen.

Ich kannte niemanden, aber ich war 19, offen für Neues und gespannt auf mein Abenteuer am “anderen Ende der Welt”.

Amistad, Julia Wobken
In Argentinien hat Freundschaft gefühlt eine andere “Lernkurve”. (Foto: JW)

¿Vamos? – ¡Si!

Dass ich damals Freunde gefunden habe, habe ich zwei Dingen zu verdanken: Offenheit und Neugier. Die Hilfsorganisation, in der ich arbeitete, hatte mir eine Patin zugeteilt, der Rest der Gruppe war in meinem Alter und neugierig darauf, mehr über Deutschland – und mich – zu erfahren. Und ich war neugierig darauf, so viel wie möglich zu lernen. Das Wort “Vamos” kannte ich. Was danach kam? Das fand ich raus, als ich mitging. Zur Bäckerei. Zu einer Party. Zum Essen. Die Argentinier luden mich ein – und ich kam mit. Selbst wenn es weit weg war. Die Freundschaften von damals pflege ich noch heute. Und andere kamen dazu. Im Studium, in Tandemgruppen, in Seminaren und, ja, auch auf der Arbeit habe ich Freunde gefunden. Wichtig war es nur, den ersten Schritt zu machen und teilzunehmen. Dabei hilft die argentinische Kultur ungemein. Es ist leicht, mit Argentiniern ins Gespräch zu kommen. Sie sind offen, sie hören zu, sie stellen Fragen. Sie sind neugierig. Und die Barriere zur Freundschaft ist niedrig, das bleibt auch so, wenn man älter wird.

Die Freundschaftskurve Ich habe daraus meine eigene Theorie entwickelt: Die Freundschaftskurve. Auf der Y-Achse das Freundschaftslevel, von “Ich kenn dich nicht” zu “Ich helfe dir beim Umzug”. Auf der X-Achse die investierte Zeit. In Argentinien beginnt sie gleich weiter oben, bei “Komm, wir gehen was trinken”. Und das ist immer eine gute Basis, um eine solide Freundschaft zu bilden – zumindest, wenn man auf “¿Vamos?” mit “¡Sí!” antwortet.

(*) Julia Wobken reiste mit 19 Jahren zum ersten Mal nach Argentinien. Sie lernte Spanisch in Tucumán und arbeitete ehrenamtlich bei der Fundación León. Danach studierte sie in Buenos Aires, wo sie seit neun Jahren lebt, arbeitet und schreibt. In ihrer Kolumne für das Argentinische Tageblatt teilt sie kleine und große Alltagserfahrungen (und Herausforderungen), die das Leben einer jungen deutschen Einwanderin in diesem schnelllebigen 21. Jahrhundert in Argentinien prägen.

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