17. 08. 2024

Buenos Aires (AT) – Im Stadtteil San Cristóbal von Buenos Aires öffnet eine Tür den Weg in eine andere Dimension. Eine Welt, in der nur die Farben das Sagen haben, Leinwände magische Geschichten erzählen; Fotografien an experimentelle und provokative Zeiten erinnern und Skulpturen mit Gemälden und Matratzen in einen ganz eigenen Dialog treten. Die Sprache reicht kaum aus, um die Welt von Marta Minujín (81) zu beschreiben. Kein Wunder, das Atelier der argentinischen Künstlerin ist ein lichtdurchfluteter Raum in dem alten Familienhaus, in dem schon ihre Großeltern lebten und sie selbst geboren wurde. Es ist die Welt in der Vergangenheit und Zukunft sich in Minujíns Kunst vereinen. Es ist die Welt der Pop-Art-Königin Lateinamerikas. 

Marta Minujín, die Diva der lateinamerikanischen Pop-Art.

Marta Minujín ist eine der herausragendsten bildenden Künstlerinnen der argentinischen und lateinamerikanischen Gegenwart. Die Vielfalt an Techniken und Farben ihres Ateliers spiegelt bis heute die Mischung aus rebellischem Geist und vielschichtiger Persönlichkeit wider, Dank der Minujín nicht aufhören kann, Grenzen zu erforschen und sie überschreiten. Auch mit 81 Jahren, strahlt Minujín die Energie und Kraft aus, die Kreativität und Begeisterung zu ihrer Sprache zu machen wußte und mit der sie uns bis heute zeigt, warum Ewigkeit nur in der Zukunft liegen kann.

“Wenn ich nichts schaffe, lebe ich nicht”

Minujin, war eine zentrale Figur der Pop- und Konzeptkunst, die in den 1960er Jahren das Format des Happenings und der ephemeren Kunst einführte. Die 1943 in Buenos Aires geborene Minujín arbeitete vorwiegend in den Bereichen von Skulpturen, Happenings, Performances und Videos. Seit ihren Anfängen wagte sie den Bruch mit der Norm und tat dies ohne Netz und doppelten Boden. “Auf der Straße erklärte sie mich immer weider für verrückt”, pflegt sie in Interviews zu erinnern.

Werke wie La Menesunda, El Parthenón de los libros prohibidos, El Obelisco de pan dulce sowie Matrzen-Instalationen, gelten ihre Hauptwerke. Ihr Ziel: den Betrachter in das Werk “eintreten zu lassen” und die ständige Interaktion zu suchen. Minujín wollte von Anfang an “lebende Kunst” schaffen, die zum sinnlichen Erlebnis werden kann. “Seit meinem zehnten Lebensjahr lebe ich mit und in der Kunst. Wenn ich nicht arbeite, nichts erfinde, nichts schaffe, lebe ich nicht”, ekrlärte sie in einem Gespräch anläßlich ihres 81-jährigen Geburtstages im Januar.

Marta Minujín im Institut Di Tella bei der Präsentation von “La Menesunda” (1965).

Buenos Aires, Paris, New York und zurück

Die Konzeptkünstlerin begann ihre Karriere in den 1950er Jahren im Kontext der Pop-Art-Bewegung und der experimentellen Kunst in Argentinien. Minujín studierte von 1953 bis 1959 Kunst an der Escuela de Bellas Artes Manuel Belgrano und Kunstpädagogik an der Escuela Superior de Bellas Artes. 1961 gehörte sie zu den argentinischen Teilnehmern der Biennale von Paris. Von 1962 bis 1963 machte ein Stipendium Minujín einen längeren Aufenthalt in Paris möglich. Sie lebte in einem Lagerraum ohne Bad und Heizung, aber mit vielen Pappkartons und Matratzen, die ihr künstlerisches Markenzeichen werden sollten. 17 Jahre lang bewarb sie sich um so viele Stipendien wie möglich und gewann sie alle: DiTella, Guggenheim, Rockefeller.

Sie zog nach New York, wo sie in die psychedelische Kunst und die Hippiekultur eintauchte. Während ihres Aufenthalts in New York in den 60er Jahren kam sie mit Persönlichkeiten wie Andy Warhol, dem Vater des “Pop Art”, in Kontakt. Die Künstlerin schuf 1985 die berühmte Fotoarbeit, in der sie Warhol mit Mais (in Minujíns Worten: “dem lateinamerikanisches Gold”) für die Auslandsschulden Argentiniens bezahlte. In einem Interview sagte Minujín: “Da ich hier die Pop-Königin war und er der Pop-König, machte es für uns Sinn, die Schulden zu begleichen”. Es sollte das letzte Mal sein in der sich beide trafen. Wahrol starb zwei Jahre später.

Minujín gilt bis heute als wichtigste Vetreterin der “Generation Di Tella”. Das Institut Di Tella war ein gemeinnütziges Kulturzentrum in Argentinien, aus dem eine eigene künstlerische Bewegung entsheten sollte. Gegründet im Jahr 1958 von der Di Tella Stiftung zu Ehren des italienisch-argentinischen Ingenieurs und Geschäftsmanns Torcuato Di Tella, befand sich das Institut in der Calle Florida 936, im Herzen von Buenos Aires, verfügte über Ausstellungsräume und ein Auditorium für 244 Zuschauer. Seine Blütezeit erlebte das “DiTella” in der zweiten Hälfte der ´60er Jahre, in denen es sich zum “Tempel der künstlerischen Avantgarde” entwickeln sollte. Die Militärjunta unter Juan Carlos Onganía verfügte die Schliessung 1970.

Eine Kunst für die Menschen

Minujins Werke sind heute Teil internationaler Sammlungen in Häusern wie dem Guggenheim Museum (New York), Olympic Park (Seoul), Art Museum of the Americas (Washington DC), Museo Nacional de Bellas Artes und MALBA (Buenos Aires), dem Centre Pompidou (Frankreich), der Tate Liverpool (England).

Marta Minujins Kunst nimmt kein Ende. Ohne Kunst, gibt es keine Marta.

Doch für die Künstlerin muss die Kunst aus den Museen raus, damit die Menschen in sie eintauchen, sie “erleben” können, wie Minujín nicht müde wird zu fordern – und zu arbeiten. Wohl könnte sich auf einer Karriere ausruhen, die ihren Höhepunkt zwar spät doch dafür zu einer festen Größe auf der ganzen Welt gemacht hat. Doch auch mit 81 Jahren sitzt die Künstlerin jeden Tag in ihrem Atelier und fängt von vorne an. Marta Minujins Leben ist Kunst in Echtzeit, wie viele ihrer Freunde zu sagen pflegen. Und so lebt sie auch eines der Kennzeichen Argentiniens bis ins hohe Alter vor: den Drang und die Notwendikeit, sich immer wieder neu zu erfinden.

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