21. 07. 2024

Buenos Aires (AT) – Es gibt Filmemacherinnen, die über Jahrzehnte ein umfangreiches und  detailliertes Werk entwickeln. Es gibt aber auch Filmemacherinnen, die mit rasender Dringlichkeit, fast ihrer Zeit voraus, in einer Handvoll Jahren ihr eigenes Film-Universum erschaffen. María Luisa Bemberg war eine von ihnen: Im Alter von 58 Jahren begann sie mit dem Filmemachen und brauchte nur sechs Filme, um einen besonderen, scharfen und sensiblen Blick zu entwickeln, der die Rolle und Darstellung der Frau auf beiden Seiten der Kamera umfassend thematisiert. 

In Bembergs Filmen spielten Schausspielre wie Imanol Arias, Julie Christie oder Marcello Mastroianni mit; ihr 1984 entstandenes Werk “Camila” wurde für den Oscar nominiert. Doch abgesehen von ihrem künstlerischen Erbe, prägte sie auch Teile des argentinischen Feminismus. Sie verstand sich als eine Filmemacherin, die ihre Kunst als politisches und soziales Instrument einsetzte. 

Das Leben der María Luisa Bemberg: Die befreite Frau?

Ein Leben, jenseits der Klischees

1922 wurde Maria Luisa in eine aristokratische Familie geboren: Die Bembergs. Die Bembergs waren die Eigentümer der traditionellen Brauerei Cervecería Quilmes, die von dem 1852 eingewanderten deutschen Familienvater Otto Bemberg gegründet wurde. Eine traditionsreiche Familie, die eng mit dem Handel, aber auch mit der Kunst verbunden war. Wie es damals für Mädchen üblich war, erhielt sie keine Schulbildung. Maria Luisa hatte jedoch ganz andere Pläne.

Mit 22 Jahren heiratete sie den Architekten Carlos Miguens. Das Paar bekam vier Kinder. Doch das Dasein als “Frau von..” ließ eine große Leere in ihr zurück. Ihre Ambitionen gingen über die traditionellen Rollen ihrer Zeit hinaus. Zehn Jahre später ließ sie sich scheiden. “Ich glaube, dass Frauen, vor allem meiner Generation, das Leben erben – das Leben ihrer Mutter, das Leben ihrer Großmutter – ohne sich die quälende Frage zu stellen, wofür und für wen lebe ich”, sagte sie später.

Eine unkonventionelle und moderne Perspektive: In ihren Filmen ging es oft um das Leben von Frauen, die nicht der Norm entsprachen.

Bevor sie sich Filmen zuwandte, war sie als Theaterregisseurin tätig und Mitbegründerin des Teatro del Globo 1968. In den 1970er-Jahren begann sie Drehbücher für Filmregisseure zu schreiben. 1981, im Alter von 58 Jahren, drehte sie ihren ersten eigenen Spielfilm. “Momentoserzählt von der Liebesgeschichte zwischen der unglücklich verheirateten, kinderlosen Lucía und dem 15 Jahre jüngeren Nicholas, der ebenfalls verheiratet ist. Ihr nächstes Projekt, “Ich gehöre niemand” (“Señora de nadie”), finanzierte sie, wie auch schon Momentos, selbst. Das Drama handelt von einer Frau die feststellen muss, dass ihr Ehemann sie seit Jahren mit anderen Frauen betrügt.

Bemberg drehte in 12 Jahren insgesamt sechs Filme, “die alle ihrer Zeit voraus und politisch grenzüberschreitend waren, mit weiblichen Protagonisten, die die gesellschaftlichen Vorgaben ihrer Zeit in Frage stellten und alle Institutionen angriffen: den Staat, die Familie und die Kirche“, so die Journalisten Lucía Puenzo in einem Artikel über Bemberg.

Der Film “Camila” ist schon fast zu einem Symbol des argentinischen Kinos geworden.

Das Rebellieren gegen Verhältnisse, die die Bewegungsfreiheit von Frauen einschränken, zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk der argentinischen Regisseurin. «Ich liebe in meinen Filmen Frauen, die Gebote übertreten, weil ich glaube, dass der Schritt eine Manifestation der Freiheit ist», so die Regisseurin. So gilt Camila(1984) als eines ihrer Meisterstücke. Der Film stellt die tragische Liebesgeschichte einer Aristokratin im Buenos Aires del 19. Jahrhunderts und ihres Priesters dar. Hintergrund der Handlung ist die Zeit der ein Diktatur gleichkommenden Regierung des Juan Manuel de Rosas im Argentinien um 1830. Nach der Militärdiktatur (1976-1983) in Argentinien, war “Camila” der erste Film der in Demokratie gedreht wurde, und der zweite Film in der Geschichte des argentinischen Kinos, der für den Oscar als bester ausländischen Film nominiert wurde. 

“Eine Pionierin, eine mutige Frau” 

Wie es selbst in ihren Interviews immer weider betonte, für María Luisa Bemberg, auch bekannt als “la” Bemberg, bedeutet Feministin zu sein, einen anderen Blick auf die Welt zu haben. Das spiegelt sich in ihrer gesamten Filmografie wider, die zwar nur wenige Filme umfasst, sie aber als eine der großen argentinischen Regisseurinnen positioniert.

Eine “Feministin”

Bereits 1971 bezeichnete sich die Regisseurin in der Klatsch und Tratsch Zeitschrift Gente als Feministin. Damals löste dieses Wort einen Skandal aus. Doch aus diesem Skandal entstand die Unión Feminista Argentina, ein Verband, in dem feminischte Texte aus aller Welt gelesen wurden, und dank dem Bemberg die Unterstützung fand, die sie brauchte, um ihre Karriere zu starten. Bemberg bewies eine ideologische und ästhetische Kohärenz, die sich durch ihre gesamte Filmografie zog. Als sie begann, gab es nur 5 bis 7% weibliche Filmemacherinnen; mehr als 90 % waren Männer. “María Luisa war eine Pionierin, eine mutige Frau, die in einer von Männern dominierten Welt neue Wege beschritt”, definierte Kollegin Lila Stantic sie.

Bembergs letzter Film wurde gedreht, als sie bereits krank war. Doch ihre Leidenschaft motivierte sie, weiterzumachen und den Film schließlich zu veröffentlichen.

Die Zeit vergeht, doch Bembergs Filme sind nach wie vor relevant und anklagend. Bemberg sagte selbst über sich: “Ich gehöre niemanden” (“Señora de nadie”), den Titel ihres berühmten Films, der viele Männer ihrer Zeit verärgerte. “Ich habe eine Verpflichtung mir selbst gegenüber, eine ethische Verpflichtung, die darin besteht, so weit wie möglich Frauenfiguren zu retten, die ermutigend, kreativ, stark und außergewöhnlich sind, und mich gegen so viel Vulgarität zu wehren, gegen Filme, die von Männern gemacht werden, die im Allgemeinen Klischees sind, die nichts mit der Realität dessen zu tun haben, was wir Frauen wirklich sind”, sagt Bemberg in einem Interview kurz vor ihrem Tod. Sie starb 1995 in Buenos Aires. 

Der Vorspann ihres letzten Films, “De eso no se habla” (Davon spricht man nicht, 1993), beginnt mit einem Satz der wohl ihr ganzes Lebenswerk zusammenfasst: “Allen Menschen gewidmet, die den Mut haben, anders zu sein, um sich selbst zu sein.”

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