14. 06. 2024

Buenos Aires (AT) – Ein schmales Gebäude in Palermo, die Straße Serrano 2135, zwischen Guatemala und Paraguay, nur unweit des Botanischen Gartens, in Buenos Aires. Hier wohnte Jorge Luis Borges einst. Doch von seinem wirklich Haus ist nicht mehr viel geblieben. Nur ein kleines Schild erinnert an den Schriftsteller. Mit viel Fantasie und alten Fotos kann man sich noch in die – in “seine”- Zeit zurückversetzen. Vor 50 Jahren sah der Stadtteil Palermo noch ganz anders aus: das Viertel, das heute im Zentrum der Millionen-Metropole liegt, galt in Borges Zeit als Niemandsland. Das Ende der Stadt. Dahinter, kamen schon, Land, Tango und Gauchos. Heute ähnelt dieser Stadtteil eher dem hippen Prenzlauer Berg: Cafés, Geschäfte und Restaurants ohne Ende. Heute heißt die Straße Borges. Doch das Literaturgenie war immer dagegen gewesen, dass die Straße nach ihm benannt wurde. 

Viele Dichter haben die Straßen von Buenos Aires besungen und viele Schriftsteller, ihre typischen Stadtviertel dargestellt. Doch zweifellos war Jorge Luis Borges der einzige, dem dies auf internationaler Ebene gelungen ist. Das Prestige, das sein Werk in der ganzen Welt erlangte, machte die Stadt Buenos Aires zu einem Literaturtreffpunkt. So wie es Kafkas Prag, Joyces Dublin oder Pessoas Lissabon war, war Buenos Aires eben seins. Das spürt man auch 38 Jahre nach seinem Tod noch. 

Der argentinische Schrifsteller war zu Zeiten politisch umstritten, doch niemand könnte seine Kunst und Kreativität in Frage stellen.

Ein Vorort namens Palermo 

“Ich bin in einem armen Viertel aufgewachsen, am Ende der Stadt. Unser Haus war eines der zwei oder drei Hochhäuser in den etwa zwanzig Blocks der Serrano-Straße”, erinnerte sich Borges 1965 in einem Vortrag. Das Haus, in dem er zwischen 1901 und 1914 wohnte, war von einem unbebauten Grundstück umgeben, auf dem ein Pferd eine Mühle standen. Bei dieser Beschreibung würde heute kein Tourist mehr vermuten, dass es sich um Palermo handelt. In dem Haus, in dem Borges aufgewachsen ist, befindet sich heute ein Friseursalon.

„In diesem Buenos Aires, das mich verlassen hat, wäre ich ein Fremder“. Kurz vor seinem Tod 1986 war die Stadt für das Genie der argentinischen Literatur nicht mehr wiederzuerkennen. Hochhäuser gab es nicht, die Straßen seiner Kindheit sind umgestaltet, und das Gebäude seiner Nationalbibliothek steht fast leer. Dennoch lassen sich seine Spuren anhand von Gedenktafeln, Gedichten und Monumenten wiederherstellen.

Wie zuvor keinem anderen gelang es Borges, einen kulturellen Dialog zwischen Lateinamerika und Europa anzuregen.

Borges’ Buenos Aires war nicht nur der Schauplatz eines Großteils seines Werkes, sondern auch der Stoff, aus dem er schöpfte. Seine Literatur – vor allem seine frühe Lyrik – entstand aus seiner Begeisterung für die Stadt, sein ständiges Entdecken und Beobachten. Später wurden viele seiner Erzählungen von Geschichten und Porteños inspiriert oder spielten in den Vierteln der Stadt. Sogar seine tiefsten metaphysischen Reflexionen, wie „Nueva refutación del tiempo“, spiegeln seine Erfahrungen in den Straßen von Palermo wider. Von allen Themen, die er in seinem Werk aufgegriffen hat, ist kaum eines so präsent wie die Stadt Buenos Aires.

Borges ähnelt seinem Buenos Aires: Beide sind aus der Verschmelzung europäischer Kulturen mit argentinischen Sitten entstanden. Wie es in dem Buch “El Buenos Aires de Borges” von Carlos Alberto Zito so schön formuliert wird: “Buenos Aires cría (crea) a Borges, y Borges re–crea a Buenos Aires” (a.d Buenos Aires schafft Borges, und Borges erschafft Buenos Aires neu). Borges’ Originalität ist also zu einem großen Teil auf die Originalität der Stadt zurückzuführen, in der er lebte. Er selbst verstand es so: „Wäre ich irgendwo geboren worden… in Yorkshire, einem schöneren Ort als diesem, wäre nicht ich dort geboren worden, sondern jemand anderes“.

Mit einem kleinen Kaffee und der Tageszeitung, dachte Borges über das Leben in Buenos Aires nach.

Er fand in vielen Ecken Buenos Aires einen Rückzugsort. Cafe Tortoni, war eins der vielen. Im Laufe der Jahrzehnte wurde dieses Café im Stadtzentrum zu einem Treffpunkt für Schriftsteller, Musiker, Tango-Künstler, Sportler und Politiker. Borges hatte hier seine Stammtisch. Borges lebte später lange Zeit im Viertel Recoleta, das er liebevoll “La Recoleta” nannte. Mehrere Ecken dieses Viertels sind vom Schriftsteller geprägt. Einer von ihnen ist der Friedhof von Recoleta. Aber Spoiler alert: Nein, er selbst ist nicht auf diesem Friedhof vergraben. Dafür aber viele seiner Angehörigen, die Borges oft besuchte. Hierher flüchtete er vor der Stadt und unternahm seine langen Spaziergänge zwischen den Gräbern.
In der alten Bibliothek Miguel Cané im Stadtteil Boedo, wo Borges 1899 geboren wurde und wo der Schriftsteller 1938 zu arbeiten begann. Einige seiner berühmtesten Geschichten, wie „La biblioteca de Babel“, entstanden dort. Oder die damalige Nationalbibliothek im Viertel San Telmo, die Borges zwischen den Jahren 1955 und 1973 leitete. Schließlich lässt sich Borges’ Leben in seinen Bibliotheken zusammenfassen. Er selbst schrieb in seiner Autobiografie, wenn er das wichtigste Ereignis in seinem Leben nennen müsste, würde er sagen, dass es die Bibliothek seines Vaters war. Und er fügte hinzu: „Ich glaube nicht, dass ich diese Bibliothek jemals verlassen habe“.

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