22. 11. 2024

Stuttgart / Buenos Aires – Seit bald drei Jahren führt Putins Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die Opfer auf beiden Seiten sind fürchterlich. Aber für die russische Wirtschaft läuft es richtig rund. Sie lässt Deutschland im Wachstumsvergleich locker im Staub zurück (siehe Abb. 1). Russlands Arbeitslosenrate liegt bei mickrigen 2,6 % – Vollbeschäftigung! Wie ist das möglich?

LBBW, Russland
Erwartete Entwicklung der Wirtschaft Russlands (links) und Deutschalnds in den Jahren 2024 und 2025. (Abbildung: LBBW)

Kriegswirtschaft auf Hochtouren

Des Rätsels Lösung heißt Kriegswirtschaft. Die Produktion in kriegswichtigen Industrien hat sich verdoppelt. Der Rest des produzierenden Gewerbes hingegen stagniert. Dazu kommen Investitionsausgaben für die Infrastruktur, um Öl und Gas statt nach Europa vermehrt nach Asien umzuleiten. Hohe Rohstoffpreise und ein boomender Handel mit China und Indien erlauben die Finanzierung ohne nennenswerte Haushaltsdefizite.

Das dicke Ende kommt noch

Doch der russische Boom ist auf Sand gebaut. Schon vor dem Krieg – oder wie Putin es nennt: der militärischen Spezialoperation – waren Russlands Wachstumsperspektiven bescheiden, und sie haben sich langfristig weiter eingetrübt. Denn die Transformation zur staatlich gelenkten Kriegswirtschaft bringt vermehrt planwirtschaftliche Praktiken mit sich. Das senkt das maximal mögliche Produktivitätswachstum. Und es macht eine Entwicklung weg von einer rohstoffbasierten hin zu einer diversifizierteren Volkswirtschaft noch unwahrscheinlicher. Selbst denaus den Verkaufserlösen von Öl und Gas gespeisten und einst prall gefüllten Staatsfonds zur Diversifizierung der Wirtschaft hat Putin geschröpft, um den Krieg zu finanzieren. Wie soll es da jemals gelingen, die Wirtschaft breiter aufzustellen? Man fühlt sich an den Ausspruch des früheren US-Präsidentschaftskandidaten John McCain von 2014 erinnert (damals gab es noch die Republikanische Partei…): „Russland ist nichts weiter als eine Tankstelle, die sich als Land verkleidet.“

Das größte Problem für die russische Nachkriegswirtschaft dürfte aber demografischer Natur sein. Schon vor dem Krieg rechneten die Vereinten Nationen mit einem jährlichen Bevölkerungsrückgang um mehr als eine halbe Million pro Jahr. Jetzt kommen noch geschätzt 600.000 an der Front Gefallene hinzu– bisher. Plus junge, meist männliche und gut ausgebildete Russen, die sich durch „Republikflucht“ der drohenden Einberufung entziehen. Seit Kriegsbeginn haben fast eine Million Menschen dem Land den Rücken gekehrt, davon geschätzt ein Zehntel IT-Fachleute. Mit wem will Putin das Land künftig entwickeln?

Sanktionen wasserdicht machen

Russlands Wirtschaft zeigt sich aber auch aus einem anderen Grund resilienter als von vielen, auch von mir, erwartet worden ist: Die Sanktionen sind löchrig. Kirgistan profiliert sich dabei besonders als Drehscheibe für Sanktionsbetrüger. Deutsche Exporte in das zentralasiatische Land sind im Vergleich zu vor dem Krieg um mehr als den Faktor zehn gestiegen. Man darf getrost davon ausgehen, dass das Allermeiste davon nach Russland geschleust wird. Tatsächlich sind die in Kirgistan registrierten Importe aus Deutschland geringer als Deutschlands Exporte dorthin. Für die Differenz machen sich die Zwischenhändler in Bischkek noch nicht mal mehr die Mühe, so zu tun, als gingen die Waren ins eigene Land.

Es ist höchste Zeit, dass die EU diese Löcher stopft und Kirgistan auf die Sanktionsliste setzt. Das wird Russlands Wirtschaft nicht zerstören. Destabilisierend für das Regime wäre es aber doch, wenn sich die Versorgung mit deutschen Autos und französischen Handtaschen verschlechterte.

Dr. Moritz Kraemer,
Chefvolkswirt und Leiter Research

LBBWResearch@LBBW.de

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