07. 06. 2024

Buenos Aires (AT) – Während Europa in sein Wahlwochende startet, verliert sich die Politik in Buenos Aires in ihrem ganz eigenen Labyrinth. Anfang der Woche verabschiedete die Depütiertenkammer eine Gesetzesvorlage zur Neuberechnung von Renten und Pensionen. Die Vorlage wird nun im Senat behandelt. Sollte sie auch dort ein positives Votum erhalten, wäre der Affront für Staatspräsident Javier Milei komplett. Die Gesetzesvorlage hebt die Regelung ausser Kraft dank der seine Regierung seit Jahresbeginn ihre ersten Haushalts-Erfolge einfahren konnte sowie die Inflation eindämmen konnte. Milei hat bereits angekündigt, dass er das neue Gesetz per Veto blockieren würde. Sollte die Vorlage jedoch in beiden Kammern jeweils von einer zwei Drittel Mehrheit angenommen worden sein, bleibt das präsidentielle Veto, der argentinisches Verfassung nach, unwirksam. Die Vorlage wäre gesetzlich und bindend.

Ley Bases und schweres Fahrwasser

Milei und sein Team mußten in den letzten Wochen mehrere politische Niederlagen hinnehmen. Angefangen bei der weiterhin nur langsam fortschreitenden Ley Base, die nach wie vor im Senat diskutiert wird. Die Verzögerung kostete wie berichtet dem geschaßten und heute ehemaligen Kabinettschef Nicolás Posse seinen Posten. Immerhin: Posses Nachfolger, Guillermo Francos, konnte Milei die generelle Annahme des Paket einfahren; jetzt fehlt der die Lesung in den Ausschüßen. Und trotz allem Geschick den Chefunterhändler Francos an den Tag legt, dürfte es dauern. Milei muß nach seiner Rückkehr aus den USA, wo er letzte Woche die Technologie-Gurus wie Sam Altman (Open AI), Mark Zuckerberg (Meta), Tim Cook (Apell) oder Sundar Pichai (Google / Alphabet) von den Vorzügen Argentinines für Investitionen zu überzeugen suchte, auch in seinem größten Ministerium, Human Capital für Ordnung sorgen. Ministerin Sandra Pettovello müht sich bisher glücklos die Behörde aus einem Skandal rund um Lebensmittel-Lager wieder herauszuarbeiten. Die Opposition fordert ihren Kopf; Milei stellt sich vor seine Ministerin.

Die Skandale und politischen Rückschläge zeigen, dass die Regierung nach knapp sechs Monaten nun in dem schwere Fahrwasser angekommen ist, in dem Kritiker aber auch viele Analysten das Team um Milei viel früher wähnten. Vielleicht auch deshalb hat Milei auch seine für nächsten Mittwoch angeküdgte Europa-Tournee radikal eingekürtzt.

Kommende Woche, am Mittwoch, wird Milei in Rom auf dem Treffen der G-7-Staaten anwesend sein. Italiens Giorgia Meloni hatte den Argentinier ausdrücklich eingeladen. Sofort danach heißt es für Milei zurück nach Buenos Aires. Die Reiseroute sah ursprünglich weitere Stationen in Bern und Paris vor. In der Schweiz wollte Milei an der Friedenskonferenz für die Ukraine teilnehmen; in Frankreich mit dem Kollegen Emmanuel Macron konferieren. Nun soll es aber erst wieder am Abend des 20. Juni wieder über den Teich gehen. Milei erhält in Madrid den Preis des Instituto Juan de Mariana für seine “Verdienste um die Freiheit” verliehen. Am 22. Juni geht es dann nach Hamburg und Berlín. In der Hansestadt will ihm die Hayek-Gesellschaft die gleichnamige Medaille überreichen. Einen Tag später ist in der deutschen Hauptstadt ein Treffen mit Kanzler Olaf Scholz geplant.

Nachtigall, ick hör Dir trapsen

Hinter dem verkürztem Reiseplan, kann mehr stehen, als allein Mileis Wunsch -bei dieser Gelegenheit-, die inländische der internationalen Bühne vorzuziehen. Mileis Umfeld erklärte der Staatschef wolle zum Staatsfeiertag des 20. Juni in Argentinien sein. Der Tag an dem der Schaffung der argentinischen Fahne gedacht wird ist für das Land eines der wichtigsten seiner Art. Der Staatschef könnte die Gelegenheit nutzen wollen, die Verabschiedung seines erste großen Gesetzespaketes zu zelebrieren. Das Grundlagengesetz zur Deregulierung der Wirtschaft (Ley Bases) könnte bis dahin seine letzten Hürden genommen haben, glauben Beobachter. Wie vom Argentinischem Tageblatt berichtet, hatte Milei den ersten Stichtag -die Feierlichkeiten des 25. Mai- mit leeren Händen begehen müssen, nachdem das Paket im Senat zum Stillstand gekommen war.

Es ist nicht das erste Mal, das ein argentinischer Staatschef zwischen den internationalen Gesten und dem heimischen Schlangennest Hin und Her pendelt. Der verstorbene Ex-Präsident Carlos Menem betrieb eine ähnliche “shuttleDiplomatie zu Beginn seiner seiner Amtszeit. „Milei ist so. Und wir bevorzugen es, dass er sich mit Geschäftsleuten trifft (Anm. d. Red.: siehe die jüngste Reise in die USA sowie seine Treffen mit Tesla-Gründer Elon Musk) und nicht mit einem (Nicolás), Maduro, dem Präsidenten Venezuelas, wie es die vorherige Regierung getan hat”, erklärte das Büro der Aussenministerin Diana Mondinos auf Anfrage der Zeitung La Nacion.

Milei, Posse, Villaruel, 25. de Mayo 2024
In nur fünf Monaten Amt, entliest Javier Milei den Kabinettschef Nicolas Posse.

Die Frage ist, ob der unruhige Geist Milei mit dieser Strategie auch die zahlreichen offenen Baustellen in seinem Kabinett und Regierungsteam befrieden kann. Nicht nur seine Gegner mahnen immer stärker des Präsidenten weiterhin fehlende Bereitschaft, sich um sein Vorzimmer zu kümmern.

Die Grenzen der Geduld

Entscheidend bleibt wie sehr die guten Nachrichten aus der Wirtschaft anhalten können. Einige Analysten sind der Meinung, dass die wichtigsten Erfolge des Caputo-Plans auf der Makroebene – sinkende Inflation, Haushalts– und Finanzüberschüsse und ein “stabiler Dollar” – an ihre Grenzen gestoßen sein könnten. Andere sind der Meinung, dass diese Bedingungen angesichts des niedrigen Konsums und der mangelnden Investitionen allmählich als selbstverständlich angesehen werden und die Bevölkerung andere “Bringschulden” von der jungen Regierung einfordern wird. 

Das belegt berichtet auch der jüngste Stimmungsbericht des Beratungsunternehmens Moiguer. Unter dem Titel „Die Kluft zwischen Makro und Mikro” zeigt die Analyse anhand represäntativer Umfragen, das der Rückgang der Kaufkraft und die Instabilität der Arbeitsplätze die Tagesordnung zu bestimmen beginnen. Auf die Frage, wie sich das allgemeine Wirtschaftsszenario unter der Regierung Milei entwickeln wird, antworteten 43 % mit „besser“ gegenüber 38 % mit „schlechter“. Bezüglich der Inflation gaben 41 % „besser“ an, während 39 % „schlechter“ erklärten.

Im Feld der Mikroökonomie, die im Falle Moiguiers die Stimmung der Haushalte dokumentiert, kehrten sich die Antworten drastisch um. Auf die Frage nach der Stabilität ihrer Arbeitssituation rechneten 52 % mit einer Verschlechterung im Gegensatz zu den 25 %, die eine Verbesserung erwarten; 52 % geben eine Verschlechterung ihrer Kaufkraft an gegenüber 25 %, die sich über eine erhöhte Kaufkraft freuen können. 37 % der Befragten gaben an, dass sie befürchten, ihren Arbeitsplatz in den nächsten sechs Monaten zu verlieren, ein Prozentsatz, der in der niederen Einkommensklassen auf 51 % ansteigt. Die Zahlen belegen, den Menschen geht das Geld aus.

Wie die Umfragen berichten, können die Argentinier auch nicht mehr lange “aushalten”.

Auf die Frage “Wie lange können Sie auf positive Ergebnisse von Mileis Wirtschaftsplan warten?“, erklärten 46 %, dass sie nicht länger warten können und dass sich die Situation endlich verbessern muss; 18 % gaben an, dass sie bis zu sechs Monate warten können und 26 % antworteten „ein Jahr oder länger“. Trotz einer langsam kippenden Stimmung können Milei und sein Team bei Redaktionsschluss Anfang Juni noch auf das Durchhaltevermögen des Großteils der Gesellschaft bauen: überraschenderweise bleibt die Hälfte der Befragten zuversichtlich, dass sich die wirtschaftliche Lage in den nächsten 12 Monaten verbessern wird.

Die Warnlampen blinken

Domingo Cavallo, der Vater des Konvertibilitätsplans der 90er Jahre unter Präsident Menem und heutiger Berater einer der wenigen argentinischen Wirtschaftsexperten, die Milei respektiert, forderte in der letzten Woche in seinem Blog die Regierung dazu auf, den Fokus nun auf die Bedürfnisse der Bevölkerung zu richten. Er warnte davor, dass die Inflation wieder steigen könnte. „Die Mikroökonomie wird ein wesentlicher Komponente für den neuen Kabinettschef sein (Anm. d. Red. wie berichtet entließ Milei Ende Mai Nicolas Posse und bestellte Guillermo Francos zum neuen Chef der Minister), um einen Konsens mit den Gouverneuren zu finden und den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten“. Cavallo forderte die baldige Abschaffung der Devisenbeschränkungen (Cepo), um den Betrieb der Unternehmen zu entlasten.

Javier Milei, Davos, Foro, Argentina, presidente
Javier Milei in Davos.

Die Frage bleibt, ob die Regierung hinhört. Unternehmer, die im Regierungsviertel rund um die Casa Rosada zwischen Büros und Behörden unterwegs sind, bestätigen: die Botschaft hat sich kaum geändert. „Wir müssen uns auf eines konzentieren: die makroökonomische Situation zunächst zu stabilisieren und damit zu verbessern. Den Rest müßt Ihr machen“, erklären die Stimmen aus dem Regierungsapparat faßt im unisono. Die Uhr tickt dabei immer lauter.

Die gute Nachricht: Am Donnerstag wurde die b für den Monat Mai in der Hauptstadt veröffentlicht. Danach fiel die Teuerungsrate im letzten Monat auf 4,8 %. Im April waren es noch 9,8% gewesen. Die Berechung in Buenos Aires gilt als Trendbarometer für die landesweite Inflationsrate. Das Statistikamt Indec gibt diese am 13 Juni bekannt. Sollte sich das Bild wiederholen, hätte Milei nicht den Krieg, aber eine weitere Schlacht und vor allem Zeit gewonnen.

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