29. 06. 2024

Buenos Aires (AT) – Die deutsche Botschaft in Buenos Aires putze sich am letzten Mittwoch heraus, um einen besonderen Abend der Demokratie zu feiern. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Foro Futuros begrüßten die Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Argentinien, Dr. Svenja Blanke und Botschafter Dieter Lamlé, Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich Ebert Stiftung und ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments, sowie Juan Gabriel Tokatlian, Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Torcuato Di Tella. Die beiden Experten debattierten zum Thema “Nach den Wahlen zum Europäischen Parlament: Herausforderungen für eine ungewisse Zukunft”, in Anwesenheit von mehr als 100 Gästen unter denen auch das Argentinische Tageblatt war.  

Die argentinische Journalistin Maria O’Donnell leitete die Debatte zwischen Schulz und Tokatlian, vor einem vollen Auditorium in der Residenz im Stadtteil Belgrano. Die Hauptthemen drehten sich um die Herausforderungen und Chancen für Europa nach den EU-Wahlen und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika.

“Die Demokratie braucht Demokraten”

“Ich glaube, wir haben es mit einer strukturellen Krise der Demokratie zu tun. Es ist keine punktuelle Krise. Die Prozesse, in denen sich strukturelle Umbrüche widerspiegeln, sind nicht unmittelbar, sie sind nicht zufällig, sie haben einen langen Reifeprozess”, eröffnete Tokatlian die Debatte über die Zukunft der Demokratie. Hierzu befand Martin Schulz: “Die Stärke einer Demokratie hängt davon ab, wie weit die Bürger bereit sind, diese zu verteidigen. Friedrich Ebert hat einen Satz gesagt, der ganz einfach ist: Die Demokratie braucht Demokraten. So einfach ist das”.

Der ehemlige Kanzlerkandidat fügte hinzu: “Demokratie heißt nicht, wir haben einen demokratisch gewählten Präsidenten oder Regierung. Die Demokratie heißt, wir sind eine Gesellschaft, die die Prinzipien nicht bereit ist aufzugeben. Ich nenne mal drei Grundprinzipien, von denen ich glaube, dass sie das Wesenselement der Demokratie sind: Respekt vor dem Individuum, Toleranz gegenüber anderen Meinungen und Würde”. Der Vorsitzende der Friedrich-Ebert Stiftung zitierte abschließend den englischen Philosophen Edmund Burke, mit einem Satz, den er für programmatisch für die Verteidigung der Demokratie hält: “Für den Sieg der Bösen reicht es, dass die Guten nichts tun”, sagte Schulz. 

Die Rolle Europas in Lateinamerika

Juan Gabriel Tokatlian schilderte seine Sichtweise aus Lateinamerika. “In Lateinamerika ist alles dramatischer”, sagt er unter dem Gelächter des Publikums. “Was der europäische und lateinamerikanische Progressivismus nicht tut, ist, ein Gefühl von Zukunft zu vermitteln. Die Ultrarechte hat mit nur wenig Einsatz viel erreicht und das beruht teilweise auf der Frustration der Menschen, ihrer Enttäuschung, ihrem Unbehagen. Es ist keine Enttäuschung über die Produktion oder Wirtschaft. Es hat viel mehr mit einer Entzauberung der Demokratie zu tun”. Selbstkritisch fügte der argentinische Politologe hinzu: “Wir haben daraus eine Demokratieverdrossenheit gemacht”. 

Die Debatte im Rahmen der Veranstaltungs-Reihe Foro Futuro

Das Foro Futuro besteht aus einer Reihe von Veranstaltungen und Projekten mit dem Ziel, einen intensiveren Austausch zwischen Deutschland und Argentinien im politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich zu fördern. Schwerpunkte sind Themen, die für die Zukunft beider Länder entscheidend sind. Veranstalter ist die Deutsche Botschaft mit Partnern wie der Friedrich Ebert-Stiftung. Auch aus diesem Grund stand die Zukunft Europas nach den jüngsten Wahlen im Mittelpunkt des Tages.

Hierzu äußerte Tokatlian: “Ich glaube, dass Europa für uns immer eine große normative Kraft in Bezug auf Werte, Instrumente, Rechte und Frieden war. Und ich fürchte, dass diese normative Kraft Europas, die wir wiedergewinnen wollen, heute schwach ist. Wir wollen Europa umarmen, aber Europa distanziert sich von uns. Ich glaube, dass es für Lateinamerika noch nie so wichtig war, sich Europa anzunähern.”

Anschließend kam es zu einem pikanten Meinungs-Austausch zwischen Schulz und Tokatlian. Grund war der nicht unschuldige Kommentar des Argentiniers, der Europa ironisch vorwarf, “Interessen vor Werten” zu setzen. Tokatlian sagte: “Von Argentinien aus gesehen, als Bolsonaro nach Brasilien kam, (…), hat Europa anderthalb Jahren lang geschwiegen. Nichts. Ich verstehe, dass es immer Interessen und Werte gibt und dass die Interessen an erster Stelle stehen und die Werte sich ergänzen. In der Europäischen Union beschwert sich niemand über Argentinien. Niemand sagt etwas. Denn es ist die Zeit der Interessen. Hoffentlich ist es dann nicht zu spät”. Der Politologe forderte Europa und seine Mitglieder auf, auch diessseits des Atlantiks Flagge zu zeigen: “Wir erwarten, dass Europa seine normative Kraft zum Ausdruck bringt. Ich wiederhole, der europäische Einfluss in Bezug auf Prinzipien und Werte kann für die demokratischen Sektoren in Lateinamerika sehr bedeutsam sein”. 

Wie gewohnt schloß das Treffen in den Räumen der Residenz, wo die Gäste bei einem Empfang Gespräche und Eindrücke der Vorträge vertiefen konnten.

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