18. 02. 2025

Buenos Aires – Javier Milei erfährt gerade auf die harte Tour, dass das Amt des Staatschefs kein carte blanche ist. Seit Freitag versucht er, die Wogen der Empörung zu glätten, die seine Empfehlung der Kryptowährung $LIBRA losgetreten hat – bisher mit wenig Erfolg.

Auch vier Tage nach Bekanntwerden der Botschaft, mit der der argentinische Staatspräsident den Kauf der Kryptowährung empfahl, sind die Auswirkungen des Skandals nicht absehbar. Im Parlament wollen die Rufe nach einem Impeachment-Verfahren nicht abebben. Die Medien freuen sich über die Schlagzeilen, die ihnen der Skandal im Wahljahr 2025 beschert.

Mileis Beraterstab tritt in immer neue Fettnäpfe im Versuch, das politische Eigentor des Ex-Torwarts Milei zu entschärfen, herunterzuspielen oder gar zu rechtfertigen. Zuletzt am Dienstag Regierungssprecher Miguel Adorni. In einer hastig einberufenen Pressekonferenz versuchte er, die Welle der Empörung einzudämmen, die der Präsidenten-Berater Santiago Caputo am Montag losgetreten hatte, als er das Fernsehinterview des Journalisten Jonathan Viale mit seinem Chef vor laufender Kamera unterbrach. Anfängerfehler, sagen die einen. Stümperhaft, die anderen. Vertuschungsverdächtig, die dritten. In jedem Fall setzt der 54-jährige Ökonom Javier Milei sein mühsam aufgebautes Image als Inflationsbekämpfer und „Wirtschaftsheiler“ aufs Spiel – und das vor den Augen internationaler Geldgeber. Die Frage bleibt jedoch, mit welchen Folgen.

Javier Milei, Jonathan Viale
Javier Milei und der Journalist Jonathan Viale beim Start des Interviews für die Sendung ¿La ves? im Fernsehsender TN. Später unterbrach ein Berater Mileis das Gespräch vor laufender Kamera. (Foto: Screenshot).

Der Auslöser

Auslöser des Skandals war ein Post Mileis auf X am Freitag. Darin hatte der argentinische Präsident die Kryptowährung $LIBRA beworben. Laut Medienberichten verwies Milei darauf, dass das Ziel der Währung darin bestehe, „durch die Finanzierung kleiner Unternehmen das Wachstum der argentinischen Wirtschaft anzukurbeln“. Damit nicht genug: Milei teilte in seinem Post einen Link, über den man die Kryptowährung kaufen konnte. Kaum war der Post online, schoss der Kurs von $LIBRA in die Höhe und knackte die 4-Milliarden-Dollar-Marke – allerdings nur für kurze Zeit.

Nur wenige Stunden später löschte Milei den Beitrag wieder. Die Erklärung: Er habe sich entschieden, das Projekt nicht mehr zu bewerben, nachdem er mehr darüber erfahren und es als verdächtiges Schneeballsystem erkannt habe.

Der Wert von $LIBRA brach ein. Anleger verloren innerhalb weniger Stunden Millionenbeträge. Milei versuchte sich mit dem Argument zu rechtfertigen, er habe „in gutem Glauben“ gehandelt. Zudem habe er „nicht dafür geworben, sondern es nur verbreitet“. Was folgte, läuft bereits unter dem Stichwort “Kryptogate“ durch die Medien – sowohl in regierungstreuen als auch regierungsfeindlichen sozialen Netzwerken. Auch auf den Straßen von Buenos Aires, Rosario und Mendoza ist die Empörung groß. Doch für die meisten Argentinier zählt der Kampf um den Alltag mehr als ein politischer Skandal.

Inflation statt Impeachment

Erst nachdem sich die Woge der Empörung geglättet hat und eine noch einzuberufende unabhängige Untersuchungskommission ihre Arbeit getan hat, dürfte Mileis tatsächliche oder unglückliche Verstrickung klar werden. In der Zwischenzeit werden auch die Rufe nach oder Versuche eines Impeachment-Verfahrens gegen Milei kaum Früchte tragen. Die argentinische Verfassung fordert für die Einleitung eines Absetzungsverfahrens eine Zwei-Drittel-Mehrheit in der Abgeordnetenkammer des argentinischen Parlaments. Die zweitstärkste Partei PRO hat jedoch bereits erklärt, dass sie trotz „des schweren Fehlers“ Mileis einen entsprechenden Antrag nicht unterstützen würde.

Auch unter seinen Wählern muss sein Fehltritt nicht zwangsläufig für bleibenden Schaden sorgen. Bis zu den Midterm Elections im September ist es noch ein halbes Jahr – im politischen Argentinien eine Ewigkeit. Bis dahin kann der mittlerweile erfahrenere Präsident durch eine weiterhin erfolgreiche Inflationsbekämpfung und Neuordnung der Wirtschaft – auch dank der langersehnten Aufhebung der Devisenbeschränkungen – unter Durchschnittsargentiniern für sich werben. Jüngste Umfragen zeigen, dass sie weniger die skandalträchtige $LIBRA interessiert, sondern vielmehr die Preise im Supermarkt, auf der Stromrechnung oder für Schulen, Bus und Bahn.

Giaccobe
Der Skandal platzte am 15. und 16. Februrar. Trotzdem halten zwei Tage später weiterhin 50,4 der Befragten zum umstrittenenen Staatschef in Argentinien. (Graphik: Giaccobe)

Was sagen die Umfragen

Eine repräsentative Umfrage des Beratungsinstituts Giacobbe zeigt, dass der Fehltritt Mileis in der argentinischen Gesellschaft schwer wiegt. Rund 45 % der Befragten halten den Ökonomen wegen seines Handelns für schuldig. Allerdings glauben auch 37 %, dass Milei eher Opfer einer Manipulation als Täter ist, wie die Statistik zeigt des Meinungsforschungsinstitut zeigt, die Argentinisches Tageblatt exklusiv vorliegt. Giaccobe gilt als eines der unabhängigsten Unternehmen seiner Zunft in Argentinien.

Die Umfrage wurde zwischen dem 17. und 18. [Monat] durchgeführt, als das volle Ausmaß des „Kryptogates“ bereits bekannt war. Auf die Frage, ob Milei ein Impeachment-Verfahren verdient, glauben 51,6 % der Befragten, dass dies nicht der Fall ist, während sich 40,3 % ein solches Verfahren wünschen. Zur Frage: „Hat der $LIBRA-Skandal Ihre Meinung über Milei geändert?“ antworteten 50,4 % der Befragten: „Ich habe Milei vor dem Skandal unterstützt und tue es auch weiterhin.“ Nur bei 14 % der Befragten führte der Skandal zu einem Meinungswechsel. Aber – und das dürfte dem Team um Milei keine geringe Sorge sein: der Skandal hat das Negativ-Image des Präsudenten sprunghaft ansteigen lassen. Von 36 % im Januar stieg das Negativ-Bild des Regierungschefs auf 46 % Mitte Februar; ein plus von 10 % Punkten in weniger als drei Wochen.

Reise nach Washington

Beibt abzuwarten, wie sich der Skandal auf Mileis Gespräche in Washington auswirkt – weniger bei den buddies Donald (Trump) und Elon (Musk) als bei IWF-Chefin Kristalina Georgieva und ihren Beratern. Der argentinische Präsident reist am Mitwoch und bis zum Wochenende in der US-Hauptstadt. Dort soll es auch zu Gesprächen mit den Spitzen der Interamerikanischen Entwicklungsbank (IDB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) kommen. Das Ziel: Argentinien auf der Grundlage der überraschenden Fortschritte bei der Sanierung der Wirtschaft im letzten Jahr als Erfolgsmodell zu präsentieren. Milei wird in dem Umfeld sehr viel mehr Können aufbringen müssen, um seinen jüngsten Fehltritt zu erklären. Viel wichtiger aber ist, dass der als “Disruptor” angetretene Staatschef in den nächsten Wochen seinen Landleuten glaubwürdig zu vermittlen weiß, dass er aus den eigenen Fehlern lernen kann. Auch das wäre ein novum in Argentinien.

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