Buenos Aires – Argentinien muss sich kurzfristig -und wenn auch unter Schmerzen- als neuer, stabiler Investitionsstandort positionieren. Das ist die Botschaft, die der Ökonom Javier Milei seit seinem Amtsantritt zum Staatspräsidenten Ende 2023 nach innen und außen predigt. Kurz vor der Halbzeit seiner Amtszeit scheint es der Regierung gelungen zu sein, einen ersten glaubhaften Schritt in die Richtung zu machen. Das stabilere wirtschaftliche Umfeld und das verbesserte Geschäftsklima lassen Investoren das klassische Krisenland der 80er, 90er und 2000er Jahre heute mit neuen Augen sehen. Selbst Fehltritte wie der Auftritt in Davos oder der $LIBRA-Krypto-Skandal scheinen bisher dabei kaum ins Gewicht zu fallen. Ausländische Unternehmen wittern Morgenluft in Lateinamerikas drittgrößter Volkswirtschaft. Darunter sind auch deutsche Namen.
„Lange Zeit war Argentinien für viele ausländische Investoren tabu. In den letzten Wochen führen wir immer häufiger Gespräche und vermitteln derzeit mehrere Firmenübernahmen“, erklärte Ignacio Aquino, Corporate-Finance-Partner bei PwC Argentina, im Gespräch mit der Journalistin Eugenia Iglesias von La Nación. Auch Patricio Rotman, Gründer und CEO der Finanzberatung Finanzas & Gestión, bestätigt: „Die Zahl der Exits multinationaler Konzerne aus Argentinien hat sich merklich verlangsamt. Nur noch wenige wollen das Land verlassen.“ Rotmans Urteil wiegt: internationale Finanzinformationsdienste wie S&P Global oder TTR Data listen den in Buenos Aires ansäßigen Berater seit Ende der 90er Jahre als Referent für Übernahmen und Beteiligungen in Lateinamerika.
Auch unter den deutschen Unternehmen vor Ort – etwa VW, Bosch, Boehringer, Merck, Henkel, Siemens oder Claas – steigt das Vertrauen in den argentinischen Markt. Das zeigen die Ergebnisse der jährlichen Umfrage der Deutsch-Argentinischen Industrie- und Handelskammer (AHK) in Zusammenarbeit mit dem Beratungsunternehmen EY. Das Argentinische Tageblatt hatte bereits Ende März über die Präsentation der Ausgabe 2025 berichtet. Vor dem Hintergrund der jüngsten makroökonomischen Reformen erhält die Statistik jetzt neues Gewicht.

Investition und Arbeitskräftebedarf
Unternehmen wie Volkswagen, Bayer, Henkel und Siemens haben ihre Investitionserwartungen für 2025 nach oben korrigiert: 47 % planen zusätzliche Investitionen und wollen so den positiven Trend der vergangenen Jahre fortsetzen. Laut AHK sehen 53 % dieser Unternehmen zudem einen steigenden Bedarf an Arbeitskräften.
Zur Einordnung: Deutschland hält derzeit einen Anteil von 2,7 % an den gesamten Auslandsinvestitionen in Argentinien, wie die Journalistin Ludmila Di Grande im Portal Infobae berichtet. Hauptempfänger der Kapitalzuflüsse sind die Automobilindustrie, der Bergbau, die chemische Industrie und der Maschinenbau. Im Handel ist Deutschland nach den Niederlanden, Spanien und Italien der viertwichtigste EU-Partner Argentiniens. Laut der Börse von Rosario (BCR) machten argentinische Exporte nach Deutschland in den letzten fünf Jahren im Schnitt rund 10 % der gesamten EU-Ausfuhren aus.

Trotz aller Reformen konzentrieren sich die argentinischen Exporte nach Deutschland aber auch im zweiten Jahr der Ära Milei weiterhin auf die Klassiker: Rindfleisch und Rindsleder, Silber, Automobilprodukte und Soja. Umgekehrt ist Deutschland mittlerweile der fünftgrößte Lieferant Argentiniens, vor allem bei Maschinen, Kraftfahrzeugen, Ersatzteilen sowie chemischen und pharmazeutischen Erzeugnissen. Andere, zukunftsträchitere, Sektoren kommen kaum zum Tragen. Doch auch hier gibt es Bewegung: „Wir registrieren eine wachsende Zahl von Anfragen deutscher Unternehmen, die argentinische Partner suchen – sei es für den Verkauf deutscher Produkte oder für den Einkauf argentinischer Rohstoffe“, zitiert Infobae eine Quelle der AHK. Eine der großen Hoffnungen unter den befragten Unternehmen: die ausstehende Ratifizierung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur.
Eine überfällige Neuausrichtung
Bei allem Optimismus spricht die Statistik eine klare Sprache: 2024 beliefen sich die argentinischen Exporte nach Deutschland auf 814 Millionen US-Dollar, während die Importe aus Deutschland 2,656 Milliarden US-Dollar erreichten. Das Handelsbilanzdefizit liegt damit bei 1,841 Milliarden US-Dollar – einem der höchsten Werte der letzten zehn Jahre.
Das Interesse deutscher Investoren wächst immerhin. Der Zeithorizont für Kapitalrückflüsse ist allerdings kurz: 63 % der Unternehmen erwarten eine schnelle Amortisation ihrer Investitionen. Als größte Herausforderungen sehen deutsche Marktteilnehmer in der AHK-EY-Umfrage nach wie vor die Engpässe bei Infrastruktur und Versorgung:
- 19 % fordern Verbesserungen bei Logistikterminals,
- 13 % bei der Stromerzeugung,
- 13 % bei der Stromverteilung,
- 12 % beim Schienennetz und
- 10 % beim Flusstransportsystem.
Ganz oben auf der Wunschliste stehen zudem: eine arbeitsmarktfreundlichere Gesetzgebung (14 %), ein stabileres Steuersystem (13 %), eine verlässliche Wechselkurspolitik (13 %) sowie ein nachhaltiger Plan für die Wirtschaftsentwicklung (ebenfalls 13 %).
Immerhin: Im vergangenen Geschäftsjahr meldeten 56 % der Unternehmen einen Umsatzanstieg, und über die Hälfte konnte ihre Rentabilität verbessern, verwesit der Bericht. Für das laufende Jahr 2025 rechnen 77 % der befragten Unternehmen mit weiterem Umsatzwachstum: 5 % erwarten ein Plus von über 20 %, 37 % rechnen mit einem Anstieg zwischen 10 und 20 %, 35 % prognostizieren ein moderates Wachstum von bis zu 10 %. Nur 5 % gehen von einem leichten Rückgang aus – kein Unternehmen rechnet mit einem deutlichen Minus.
Die Zahlen belegen warum das Team um Milei und Wirtschaftsminister Caputo dem gerade startenden zweiten Halbjahr 2025 soviel Gewicht beimessen. Im Oktober steht die letzte Runde der landeweiten midterm elections in Argentinien an.
(AT / fc)
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