Buenos Aires (AT) – Papst Franziskus hat bis zu seinem Lebensende aus seiner Herkunft und seiner Mission immer wieder gerne eine Botschaft gemacht. „Ich bin der Papst vom Ende der Welt“, pflegte der am Ostermontag im Alter von 88 Jahren verstorbene Jorge Bergoglio gerne zu sagen. Damit betonte er auch immer wieder, dass er sich trotz einer klassischen Kirchenkarriere – Priester, Bischof, Kardinal – auch als oberster Kirchenvertreter nicht immer systemkonform verhalten wollte.
Bereits als Bischof von Buenos Aires überraschte Bergoglio immer wieder. Sei es, um die amtierenden Regierenden vor laufenden Kameras direkt für die steigende Armut in Argentinien zu rügen. Oder um mit einer der öffentlichen Buslinien in eines der vielen Armenviertel der argentinischen Hauptstadt zu fahren, um selbst vor Ort unter den Ärmsten der Armen zu sein. Nicht wenige haben Bergoglio persönlich gekannt. Oft reichte ein Anruf in der Residenz der Kathedrale von Buenos Aires, um von seinen Mitarbeitern schnell und unkompliziert zu ihm durchzukommen. Vielen war er persönlicher Beichtvater, Taufvater, Gesprächspartner.
Umso überraschender und persönlicher erlebten viele Argentinier auch seine Wahl zum 266. Papst am 13. März 2013. Der legendäre Bild-Titel „Wir sind Papst“ zur Wahl Joseph Ratzingers (Benedikt XVI.) hätte nicht ausgereicht, um die Stimmung zwischen Buenos Aires und Feuerland zu beschreiben, die der erste Gruß Jorge Bergoglios als Papst Franziskus vom Balkon des Vatikans verursachte. Die Wahl Franziskus galt als ein Moment der Hoffnung und des Neuanfangs in einem Land, dessen politische Elite sich – wieder einmal – zwischen Korruption und Wirtschaftsskandalen täglich disqualifizierte.

Ein Querdenker
Jorge Bergoglio galt aber auch in seinem Heimatland als Querdenker. Er war unbequem und scheute sich nicht, außerhalb seines kirchlichen Einzugsbereichs seine Meinung zu äußern – oftmals mithilfe der neuen Medien, häufig im direkten Kontakt. Ein Charakterzug, den er früh auch als oberster Kirchenvater zu vermitteln suchte.
Franziskus bemühte sich von Anfang an, durch Gesten zu wirken – zum Beispiel, als er auf dem Petersplatz einen durch eine Krankheit entstellten Mann umarmte oder als er, wie schon in Buenos Aires, an seinem ersten Gründonnerstag in ein Jugendgefängnis ging und den Häftlingen, darunter auch Frauen und Muslime, die Füße wusch, wie die argentinische Journalistin Elisabetta Piqué in ihrem Nachruf in La Nación am Montag erinnert.
Franziskus machte aus seiner Herkunft ein Programm: Als „Außenseiter“ sah er seine Aufgabe darin, die Kirche – nicht immer sanft – wachzurütteln. Er rief die Kirche dazu auf, sich der Gegenwart zu öffnen, missionarisch zu sein und nicht zu verurteilen, sondern zu begleiten und zu integrieren. Dabei zeichnete er sich durch einen bescheidenen Stil aus, der Strenge und Nähe zu vermitteln suchte – vor allem, um das Papstamt zu entmystifizieren und die Institution wieder zugänglich zu machen.

Kritiker des Klerikalismus
Als scharfer Kritiker des Klerikalismus, des Prunks und der römischen Kurie suchte und wagte er den Weg der Reform. Sein Ziel: die Kirche wieder „dienstbar“ zu machen. Im Einklang mit seinem Namensgeber, dem heiligen Franziskus, stellte er die Kirche in den Dienst anderer – auch anderer Kirchen.
Wie er selbst zu Beginn seiner Amtszeit und danach immer wieder betonte, wollte Franziskus die Kirche mit ihrer Zeit „wiedervereinen“. Eine Zeit, die er oft als „Zeitenwechsel“ bezeichnete und die er geprägt sah – nicht nur von Konflikten, Kriegen und Pandemien, sondern auch von einer neuen Kommunikation, dem Aufkommen der sozialen Netzwerke, der MeToo-Bewegung, dem Vormarsch der künstlichen Intelligenz (KI) und dem Aufstieg einer nationalistischen, in sich selbst verschlossenen und migrantenfeindlichen extremen Rechten.
Auf diesem Wege ging Franziskus auch erstmals das wohl schmerzvollste und schwerste Erbe der katholischen Kirche an: die Skandale des sexuellen Missbrauchs innerhalb der Institution. Er bemühte sich, den Opfern sexueller Gewalt auf der ganzen Welt eine Stimme zu geben und das Schweigen innerhalb der Kirche zu brechen. Ob und inwieweit ihm das gelungen ist, werden die kommenden Jahrzehnte zeigen.
Ein Kirche, die die Wunden der Welt heilt
Franziskus galt unter den ultrakonservativen katholischen Kreisen vom ersten Tag an als Feindbild. Über die knapp zwölf Jahre seiner Amtszeit stellten sich die konservativsten Kreise der Kurie gegen seine Vorstellung einer Kirche, die die Wunden der heutigen Welt heilen und alle ohne Ausnahme aufnehmen soll: wiederverheiratete Geschiedene, LGBTQ+-Menschen, Migranten, Gefangene – „einfach alle“, wie der Papst vom Ende der Welt laut Piqué in den letzten Jahren immer wieder betonte.
Es ist vielleicht der britische Economist, dem in diesen ersten Stunden nach dem Tod Jorge Bergoglios ein erstes Resümee über Papst Franziskus gelingt: „Franziskus hat die katholische Kirche verändert – wenn auch vielleicht nicht so weit, wie er selbst gehofft hatte.“ Doch Jorge Bergoglio dürfte das bereits geahnt haben, als er am Abend des 13. März als neuer Papst vor die Weltöffentlichkeit trat, um mit seinen ersten Worten, einen neuen Ton und Richtungsvorgabe zu setzten: „Guten Abend. Es scheint, als hätten meine Kardinalbrüder Euren Papst am Ende der Welt gesucht … aber hier sind wir. Ich danke euch für den Empfang und für das Warten (…). Und, abschließend, eine persönliche Bitte: Betet für mich.“
(AT / fc)
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