Fernando Brun,
Botschafter der Republik Argentinien, Berlin
Berlín (AT) – Vor ein paar Tagen waren wir gemeinsam mit Ulrich Sante, dem ehemaligen deutschen Botschafter in Argentinien und heutigen Vice Chairman der LBBW Baden-Württemberg, essen. Er schenkte mir eine Replik des „Ampelmannes“, dieser emblematischen Figur, die heute das Symbol der Berliner Fußgängerampeln ist und die, wie er mir sagte, „eines der Dinge ist, die wir uns aus der DDR bewahrt haben“.
Die Worte Santes enthalten immer unterschwellige Denkstöße und brachten mich dazu, über all das nachzudenken, was in Berlin gegenwärtig ist und dabei doch gleichzeitig an seine allgegenwärtige Vergangenheit von Kriegen, Extremismus, Unterdrückung und Autoritarismus erinnert: Die Säulen auf der Museumsinsel zeigen an ihren Schäften unauslöschliche Wunden durch das Maschinengewehrfeuer der letzten Tage vor dem Fall der Stadt im Zweiten Weltrkieg und der Besetzung durch die Rote Armee; genauso wie die Siegessäule in der Mitte des Tierparks; die Mauer in ihrer realen Dimension, mit dem „Todesstreifen“, dem Museum der Topographie des Terrors – weniger besucht als ihre „Pop“-Version in der East Side Gallery -, die zwischen 1961 und 1989 eine Stadt und zwei Welten teilte und 192 Menschen das Leben kostete, die bei dem Versuch starben, den Sprung in die Freiheit zu wagen.
Doch auch wenn Berlin die Narben einer schmerzhaften Vergangenheit zeigt, die nie vergessen werden sollte, ist aber die Stadt aber auch eine wahre Hommage an die Freiheit. Die Mauer selbst erzählt uns Geschichten von Menschen wie Liane Sünderman, die es auf tausend geniale Arten und Weisen – und immer unter Einsatz ihres Lebens – geschafft haben, die Mauer zu durchbrechen und sie schließlich als Ergebnis einer friedlichen Revolution zu Fall zu bringen.
Ein Bild, ein Meileinstein
Wir feiern den Tag der Deutschen Einheit jeden 3. Oktober. Kein Bild ist beredter als die Begeisterung, die der Fall der Berliner Mauer (09.11.89) auslöste, der Meilenstein, der den Prozess der Wiedervereinigung in Gang setzte, das Verschwinden des Eisernen Vorhangs, der einen unauslöschlichen Eindruck davon hinterließ, was der Kampf um Freiheit als eine der höchsten Bestrebungen unserer Zivilisation bedeutet.
Der Fall des kolossalen, 155 Kilometer langen Bauwerks, das Berlin mehr als 28 Jahre lang geteilt hatte, löste den Prozess der deutschen Wiedervereinigung und fast unmittelbar den Zerfall des Sowjetblocks aus, der den Ländern Mittel- und Osteuropas die Freiheit gab, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden, und der den Kalten Krieg beendete.
Das Ende der sicheren Häfen
Die Ereignisse auf der internationalen Bühne konfrontieren uns heute einmal mehr mit einer unausweichlichen Realität, der wir uns nicht entziehen können. Der „Urlaub von der Geschichte“ ist vorbei. Die großen globalen Spannungen und Konflikte, die seit dem Ende des Kalten Krieges nachgelassen zu haben schienen und die es den Demokratien und einer auf Freiheit basierenden internationalen Ordnung ermöglichten, sich ohne größere Bedrohungen zu entfalten, sind vorbei.
Es gibt keine „sicheren Häfen“ mehr, die von den Bedrohungen ausgenommen sind, denen die Demokratien und die fragile, auf Regeln basierende Ordnung ausgesetzt sind. Damit beginnt eine Ära, in der Unsicherheit alltäglich wird und in der die unterschiedlichen Weltanschauungen von Demokratien und Autokratien erneut aufeinanderprallen, eine Welt, in der wir uns entschlossen für die Wahrung der Prinzipien einsetzen, die unser modernes Verständnis von Menschen- und Bürgerrechten als Grundlage unserer Demokratien definieren.
Hommage an die Freiheit
Berlin ist wieder einmal an jeder Ecke eine kraftvolle Erinnerung an den Kampf für die Freiheit in Deutschland und in der Welt, ein Fest, das auf Schritt und Tritt – immer im Zeichen des Ampelmanns – unterstreicht, wie wichtig der persönliche Einsatz für ihre tägliche Verteidigung ist. Und hier bekommt Berlin eine Bedeutung, die über sich selbst hinausgeht, um heute auf europäischer und globaler Ebene als Leuchtturm und Synonym für Modernität, kulturelle Vielfalt und Toleranz wiederentdeckt zu werden.
Die Stadt ist zu einem Epizentrum der Konvergenz für Freiheit in all ihren Ausdrucksformen geworden, von Kunst und Musik bis hin zu Politik und sozialem Aktivismus. Sie hat sich als ein pulsierender Raum etabliert, in dem Unterschiede nicht nur respektiert, sondern gefeiert werden und in dem „Freiheit“ der grundlegende Wert bleibt, der seine Bewohner und Besucher vereint. Berlin erinnert sich nicht nur an seine Vergangenheit, sondern weist auch kühn den Weg in eine Zukunft, die jetzt die Gegenwart ist.
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