Buenos Aires – Patricio Rotman ist unter den argenbtinischen Finanzexperten eine rara avis. Wenn er spricht, pflegt er, mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zu halten. Selbstbeweihräucherung ist ihm ein Greuel. Vielleicht gehört seine Finanz-Boutique „Finanzas & Gestión“ (F&G) auch deshalb zu den gefragtesten Adressen, wenn ein Konzern aus Frankreich, Deutschland, Brasilien, USA oder Großbritannien seinen Ein- oder Ausstieg in Argentinien beurteilen will.
In den Rankings internationaler Informationsanbieter und Marktanalysten wie S&P Global oder TTR Data liegt F&G traditionell unter den Top 5 seiner Zunft in Lateinamerika. Der Grund ist nicht nur die Anzahl, sondern auch die Höhe der Deals, die Rotman mit seinen Kollegen selbst in einer so herausfordernden Region wie Lateinamerika in den letzten zehn Jahren unter Dach und Fach bringen konnte.
Rotman studierte an der Universität von Buenos Aires (UBA) Ingenieur- und Maschinenbau. Es folgte ein Master in Finanzen am renommierten Centro de Estudios Macroeconómicos de Argentina (CEMA) in Buenos Aires. Danach war er über 30 Jahre in inländischen sowie global aufgestellten Unternehmen tätig – darunter die Banque Nationale de Paris oder auch die Interamerikanische Entwicklungsbank (BID), wo er sich zunehmend auf das Spannungsfeld M&A, Investment und Unternehmensentwicklung spezialisierte. 2002 folgte der Sprung in die Selbstständigkeit mit Finanzas & Gestión.
Der argentinische Markt gilt heute aus vielerlei Hinsicht als einer der dynamischsten. Grund ist vor allem der bisherige Erfolg der Maßnahmen der Regierung Milei, wie an dieser Stelle bereits berichtet. Fragt man die Macher vor Ort, bestätigen sie das positive Narrativ – wenn auch mit Einschränkungen. Gleichzeitig tut sich die internationale Investmentgemeinschaft noch immer schwer, dem chronischen Krisenmarkt Argentinien ihr Vertrauen auszusprechen. Erst am Dienstag dämpfte Investmentberater Morgan Stanley Capital International (MSCI) die allgemeine Stimmung, als Argentinien am Ende nicht wie erwartet in seinem renommierten MSCI-Index hochgestuft wurde.
In diesem Umfeld hat das Argentinische Tageblatt das Gespräch mit Rotman gesucht. Ziel: eine Standortbestimmung, die es ausländischen Investoren ermöglichen soll, den lokalen Markt konkret zu beurteilen. Das Ergebnis: vier Antworten, die eine objektive Sicht auf den lokalen M&A-Markt ermöglichen – nüchtern, prägnant, jenseits aller Hypes.

Argentinisches Tageblatt: Argentinien scheint sich wirtschaftlich zu stabilisieren. Die Inflation sinkt, der Devisenmarkt öffnet sich, die Regulierung wird gelockert. Gleichzeitig bleiben Löhne, Lebenshaltungskosten und Bürokratie hoch. Wie sollten europäische Investoren die Lage bewerten – und wann ist der richtige Zeitpunkt für den Einstieg?
Patrocio Rotman: Investoren sollten gezielt auf Branchen setzen, in denen Argentinien klare Wettbewerbsvorteile hat – etwa durch natürliche Ressourcen, Produktionskompetenz oder geringe Regulierung. Entscheidend ist, Potenziale zur Wertsteigerung frühzeitig zu erkennen und rasch umzusetzen. Wer bereits eine Tochtergesellschaft vor Ort hat, kann deutlich schneller agieren als Neulinge.
Welche Sektoren stehen derzeit besonders im Fokus internationaler M&A-Abteilungen – und warum?
Nach wie vor dominieren Rohstoffe und Landwirtschaft: Erdöl, Erdgas, Bergbau und Agrarindustrie sind die strategischen Säulen der Wirtschaft. Sie sind wettbewerbsfähig und politisch gewollt. In diesen Bereichen fließt derzeit das meiste Kapital – auch weil sie vergleichsweise planbar sind.
Jahrelang dominierte der Rückzug internationaler Unternehmen. Jetzt scheint sich der Trend umzukehren. Was sind die Gründe?
Der Zeitpunkt, Argentinien zu verlassen, ist vorbei. Der Exit-Zeitpunkt ist überschritten. Die Rückzugsentscheidungen erfolgten in einem Umfeld massiver Unsicherheit: hohe Inflation, Kapitalkontrollen, regulatorisches Chaos. Die neue Regierung hat die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen grundlegend verändert. Statt Rückzug sehen wir jetzt Konsolidierung – und in vielen Fällen erste neue Engagements.
Wie ist die allgemeine Stimmung im argentinischen M&A-Markt – und was ist mittelfristig zu erwarten?
Der Markt beginnt, sich 2025 zu erholen. Zunächst wurden lokale Investoren aktiv, häufig mit einem opportunistischen Ansatz. Danach folgten die argentinischen Tochtergesellschaften internationaler Konzerne – nun mit strategischer Perspektive. Wenn sich das politische und wirtschaftliche Umfeld stabilisiert, dürfte 2026 der Einstieg externer Investoren ohne lokale Präsenz deutlich zunehmen.
Rotman bestätigt, Argentinien bleibt ein komplexer Markt – aber einer mit klaren und vor allem steigenden Chancen. Wer sich vorzubereiten weiß, kann in einer Zeit wachsender Stabilität einen entscheidenden Schritt voraus sein.
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