12. 11. 2024

Buenos Aires (AT) – Aus verschiedenen Perspektiven wird sie als Historikerin, Kulturmanagerin, Kuratorin und Künstlerin beschrieben. Liebevoll ist sie als „die Tante der Videokunst in Argentinien“ bekannt. Graciela Taquini ist eine zentrale Figur der argentinischen Videokunst-Szene und prägt diese seit Jahrzehnten. Ihr Geheimnis, um trotz einer langen Karriere am Puls der Zeit bleiben zu können: sich konitnuierlich neu denken und herausfordern. Im Rahmen des Openings der Gruppenausstellung “¿Cómo queremos vivir juntxs?” am kommenden Donnerstag, in Zusammenarbeit mit der Alliance Francaise, dem Goethe-Institut und der Stiftung Medifé, sprach Taquini exklusiv mit dem Argentinischen Tageblatt. Sie teilte ihre Eindrücke dieser Erfahrung und gab einen Einblick in den Zustand der argentinischen Kunstszene von heute.

Graciela Taquini, geboren 1941 in Buenos Aires, ist eine argentinische Künstlerin, Kuratorin und Dozentin, die den Großteil ihrer künstlerischen Arbeit im Bereich des experimentellen, einspurigen Videos entwickelt hat. In ihrem Arbeitsumfeld hat sie sich über Generationen hinweg Loyalität und Bewunderung erarbeitet. Besonders sticht sie in kollaborativen und vielfältigen Projekten hervor. In der Region gilt Taquini als Pionierin der Videokunst und audiovisuellen Kunst. In ihrer Arbeit kombiniert sie Bilder, Ton und Performance, um gesellschaftliche und kulturelle Themen auf experimentelle Weise zu beleuchten. 

Auch mit 83 Jahren erfindet sich Graciela Taquini jeden Tag neu. (Matias Martin Campaya)

Videokunst und audiovisuelle Kunst nutzen digitale Medien und Film, um Kunstwerke zu schaffen, die über klassische Techniken hinausgehen und neue Formen der Ausdruckskraft erkunden. Taquini hat diesen Bereich in Argentinien maßgeblich geprägt und inspiriert auch heute noch mit innovativen Projekten die Kunstszene. 2012 erhielt sie den Konex-Platinpreis für Videokunst und ist Mitglied der Academia Nacional de Bellas Artes (argentinische Akademie der Schönen Künste).

Seit über 30 Jahren ist sie als Managerin und Kuratorin in der Kulturabteilung der Stadtregierung von Buenos Aires tätig. Taquini schloss ihr Studium als Professorin und Magistra der Kunstgeschichte an der Fakultät für Philosophie und Literatur der Universität Buenos Aires (UBA) ab.

Zwischen 1980 und 1981 lebte sie in den USA, wo sie am Bennington College in Vermont Spanisch und Kunst unterrichtete. 2009 repräsentierte sie Argentinien auf der Biennale in Havanna, und ihre Werke wurden unter anderem in Korea, den USA, Spanien, Frankreich, Kanada, der Schweiz, Deutschland und verschiedenen lateinamerikanischen Ländern ausgestellt. Ihre Videos sind Teil der Sammlungen des Caixa Forum Barcelona, des IVAM in Valencia sowie mehrerer argentinischer Museen. Zudem hat sie über die Geschichte der Videokunst sowie das Verhältnis zwischen Kunst und Technologie publiziert. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen nationalen und internationalen Publikationen besprochen.

Ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet.

AT: Im Projekt “Cómo podemos vivir juntxs?”, in dem du als Jurorin mitwirkst: Welche waren die größten Herausforderungen und Erkenntnisse bei der Zusammenarbeit mit diesen Institutionen? Wie war deine Erfahrung in der Ausbildung der jungen teilnehmenden Video-Künstler*innen?
Taquini:
Ich denke mir, dass ich als eine Referenz im Bereich der Videokunst eingeladen wurde, und die intergenerationale Idee war für mich sehr passend und bereichernd. Ich nahm gemeinsam mit den drei Tutor*innen (Enrique RamírezRegina de Miguel y Ariel Nahón) an der Auswahl der Kandidat*innen teil, indem wir uns ihre Werke ansahen. Eine formative Erfahrung in der Begleitung der Gruppe hatte ich jedoch nicht. Mit meinen Kolleg*innen teilte ich ähnliche Kriterien, Übereinstimmungen und eine große Empathie. Es ist für mich sehr bereichernd, am Abschluss und an den persönlichen Begegnungen teilzunehmen. Gemeinschaft zu schaffen und den Austausch zu fördern, gehört zu den fruchtbarsten Errungenschaften dieses Projekts, das hoffentlich fortgesetzt wird.

Gab es ein Werk, das Sie besonders beeindruckt hat oder das Ihrer Meinung nach ein besonders relevantes Thema berührt hat?
Am meisten haben mich die Arbeiten interessiert, die einen reiferen und ausgefeilteren Ansatz verfolgten, die weniger konventionell waren. Diejenigen, die sich auf die Aufgabe eingelassen und mit der audiovisuellen Sprache experimentiert haben.

Das Projekt legt einen starken Fokus auf die globalen Herausforderungen, denen wir heute gegenüberstehen. Welche sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen, mit denen Künstler*innen heute sowohl auf kreativer als auch auf sozialer Ebene konfrontiert sind?
Die größte Herausforderung für Künstschaffende heutzutage sehe ich darin, mit Klischees und gesellschaftlichen Vorgaben zu brechen. Es gibt eine starke Tendenz, sich in poetischen und nostalgischen Ausdrucksformen zu verlieren, was aus meiner Sicht ein wenig wie eine Rückbesinnung auf vergangene Zeiten wirkt. Aus der Perspektive meiner generationalen Distanz erscheint mir diese Neigung besonders bemerkenswert. 

In einer so komplexen Zeit wie der heutigen, wie kann die Kunst beitragen? Welche Rolle spielt die Kunst in einem politischen Kontext wie dem aktuellen?
Die künstlerische Praxis erweitert das Bewusstsein, indem sie uns mit Traditionen verbindet und aktuelle Themen aufgreift. Sie fördert die Reflexion über das Jetzt und setzt positive Impulse für zukünftige Projekte, indem sie neue Perspektiven schafft und kreative Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen anregt. 

Wir wissen, dass Videokunst eine ihrer großen Leidenschaften ist. Was glauben Sie, kann die Videokunst auf einzigartige Weise vermitteln, was andere künstlerische Ausdrucksformen nicht schaffen?
Ich glaube, dass es wertvoll ist, nicht vom Markt oder dem Mainstream von Trends, Mode oder Gemeinplätzen abhängig zu sein. Die Kreation ist ein kraftvolles Werkzeug, um sich selbst auszudrücken und gleichzeitig den Zeitgeist festzuhalten und zu dokumentieren. Sie geht über das reine Handwerk oder den Beruf hinaus; sie wird zu einer Lebensweise, zu einer Art und Weise, die Welt zu sehen und zu verstehen.

Zum Abschluss, welche Botschaft würden Sie gerne mit unseren Lesern über Ihre Erfahrung mit diesem Projekt teilen? Welche Erkenntnis oder Reflexion bleiben Ihnen nach Ihrer Teilnahme an „Cómo queremos vivir juntxs“?
Die Institutionen, die Länder, die Organisatoren, die Sponsoren, die Lehrkräfte – alle waren so weit entfernt und doch so nah, gemeinsam mit den Bewerbern*innen, an einem kreativen und emotionalen Projekt, von dem wir hoffen, dass es weiterhin Bestand hat.

Graciela Taquini, vielen Dank für das Gespräch.

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